Die Erbsünde
Flips Vater, der die Schlächterarbeit auf der Farm verrichtete, hatte ihnen eigens Sehnen dafür zurechtgeschnitten. Für die Pfeilspitzen hämmerten sie Draht flach und formten ihn zu Widerhaken, vom Hühnerhof kamen die Federn für die Pfeilenden.
Flip wußte, wie man das richtige Gift mischt. Man nahm den milchigen Saft einer bestimmten Pflanze und mischte ihn mit anderen Substanzen, aber Flip verriet nie, mit welchen, denn das war ein Geheimnis der Farbigen, und wenn Fremde davon erführen, würde das Gift seine Wirksamkeit verlieren. So jedenfalls sagte Flip, und Deon glaubte ihm vorbehaltlos, denn Flip war neun und mußte es wissen.
Am Morgen waren sie losgezogen, wanderten das kiesige Flussbett entlang, den Bogen gespannt, das Gift in der Tabaksdose, denn es mußte feucht bleiben. Wenn es erst am Pfeil getrocknet war, verlor es seine Wirkung.
Sie suchten nach Springbockspuren in den sandigen Stellen zwischen den Kieseln. Allmählich wurde es Deon langweilig, er wollte nach Hause. Sein Vater hatte ihm ein Wägelchen gemacht, mit richtigen Speichenrädern und einem Joch. Hinter dem Deich, wo der Boden feucht und kühl war, hatten er und Flip Wege und Hügel angelegt, wo man das Wägelchen fahren lassen konnte. Es war sehr heiß, und er wäre gern nach Hause gegangen, um hinter dem Deich zu spielen. Plötzlich blieb Flip stehen und beugte sich vor.
»Was ist?« fragte Deon.
Flip deutete wortlos auf das zierliche Muster im Sand.
»Ein Schakal?«
Flip nickte. »Er muß heute Morgen hier gewesen sein.«
»Woher willst du das wissen?«
Flip nickte geheimnisvoll. »Ich weiß es eben.«
»Das müssen wir meinem Vater sagen.«
Schakale richteten großen Schaden bei den Schafen an. Man stellte regelmäßig Fallen auf, und Johan Van der Riet zahlte einen Shilling für jeden Schakalschwanz.
»Er muß auf dem Hügel sein«, sagte Flip, »heute früh ist er in die Richtung gelaufen. Ich glaube, er liegt in einem Loch, und heute Abend kommt er heraus und macht Jagd auf die Schafe.«
»Dann lass uns schnell meinem Vater Bescheid sagen.«
»Wie wär's, wenn wir ihn selbst fingen?«
Deon sah ihn zweifelnd an. »Wie? Wir haben doch kein Gewehr.«
Flip hob den Bogen und legte den Pfeil an. »Damit.«
»Du willst einen Schakal mit dem Ding da töten?«
Zur Antwort zielte Flip auf einen Baum zehn Meter weit weg. Der Pfeil landete mit einem dumpfen Geräusch im Stamm, anderthalb Meter über dem Boden. Die Spitze saß drei Zentimeter tief. Flip schnitt den Pfeil mit seinem Taschenmesser aus dem Stamm und sagte überzeugt: »Man muß nur durch seinen Pelz und die Haut kommen, dann tötet das Gift ihn.«
»Du brauchst aber Hunde, um ihn aus seinem Loch zu holen.«
»Wir warten, bis er von selber rauskommt.«
Deon sah den farbigen Jungen erstaunt an. »Aber dann ist es ja schon Nacht. Schakale kommen erst nachts raus.«
Flips Gesicht zeigte eiserne Entschlossenheit. »Dann warten wir eben, bis er kommt. Es ist Vollmond, also können wir ihn im Mondlicht sehen und abschießen.«
»Ich finde trotzdem, wir sollten erst nach Hause gehen und es meinem Vater erzählen«, murmelte Deon widerwillig.
Flip warf mir einen verächtlichen Blick zu. »Du kannst ja nach Hause gehen, wenn du willst.«
Danach hatte Deon natürlich keine Wahl mehr. Sie verfolgten die Spur durch das Flussbett und unter den Bäumen, wo das Unterholz am dichtesten war; von dort führte sie zur Kuppe des Long Hill hinauf, wie Flip vorausgesagt hatte. Der Schakal war in Schleifen und Bogen gelaufen, und sie mühten sich schwitzend durch das Gestrüpp den Abhang hinauf.
Entmutigt blieb Deon stehen und wischte sich das Gesicht am Ärmel ab. »Mann, so kriegen wir ihn nie.«
Flips Ausdruck blieb unverändert. »Geh doch nach Hause, wenn du willst.«
Endlich zeigte die Spur eindeutig in eine Richtung. Flip sah zur Kuppe auf. Sie war tafelförmig wie die meisten in diesem Teil der Karru, aber direkt unter dem Gipfel war eine zerklüftete Felswand.
»Er ist in einer von diesen Felsspalten«, sagte Flip mit Genugtuung. »Jetzt müssen wir uns vorsichtig ranschleichen und das richtige Loch ausfindig machen. Schakale hören gut. Wenn er uns erst hört, bleibt er drin.«
Die Spuren führten geradewegs auf einen schmalen Riß in den Felsen zu. Sie vergewisserten sich, daß keine Spuren aus dem Loch wieder hinausführten. Aus der dunklen Ritze kam kein Laut. Flip winkte Deon mit dem Kopf; sie entfernten sich geräuschlos.
»Also, er ist da«, flüsterte
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