Die Erbsünde
›fabelhaft‹. Was sein Vater wohl damit anfangen mochte, dachte er belustigt.
Vier Dozenten machten sich mit besorgten Mienen daran, die Promovierten auf ihren Plätzen zu zählen, mühsam addierten sie die Gesamtsumme. Deon stellte sich seines Vaters Geringschätzung vor. So was würde er nicht mal als Schafhirten anstellen. Wie würden sie jemals mit einer wogenden Schafherde fertig werden, wenn sie nicht einmal ordentliche Reihen von stillsitzenden Leuten zählen konnten?
Er grinste, und Robby, der weiter vorne in derselben Reihe saß, sah es und grinste zurück.
Wir sind Ärzte, dachte Deon mit plötzlichem Triumph. Zum Teufel mit allem anderen. Wir sind Ärzte. Jedenfalls in wenigen Minuten. Er spürte, wie ihm plötzlich die Tränen kamen. Mein Gott, wenn es nicht bald losgeht, fang' ich noch an zu heulen wie ein Baby.
Da ertönten aus dem Lautsprecher die Klänge einer unsichtbaren Orgel und retteten ihn vor solcher Schmach. Das Publikum erhob sich, als die Prozession der Professoren zu den brausenden Klängen von ›Gaudeamus igitur‹ durch den Mittelgang nach vorn zog. Der ehrwürdige Dekan der Technischen Fakultät, von dem jedermann wußte, daß er blind wie eine Nachteule war, aber zu eitel, um bei öffentlichen Anlässen eine Brille zu tragen, bog zu früh ein und mußte zurückgeholt werden. Die Prozession erreichte die Bühne, und die Melodie ging jetzt in die Nationalhymne über. Mitten in der ersten Strophe meinte er auf einmal, die Stimme seines Vaters zu hören, wie sie all die anderen übertönte. Er hielt inne. Wahrhaftig, er war's.
Natürlich. Die Engländer, die in seiner Nähe saßen, bewegten sicher nur zum Schein die Lippen, da sie den Text nicht kannten. Und er, eine Beleidigung witternd, donnerte in seinem Zorn die Hymne extra laut, um sich zu rächen.
Deon lächelte anerkennend in sich hinein. Zugegeben, dachte er, der Alte ist nicht kleinzukriegen.
Man setzte sich wieder, und die hölzernen Klappstühle machten ein Geräusch, als wenn man ganz schnell mit einem Stock über einen Lattenzaun fährt.
Die würdige Feier nahm ihren gewohnten Gang. Fünf, sechs Reihen vor Deon saß Philip; er erkannte das glatte schwarze Haar und die starre Haltung des Kopfes. Er schien aufmerksam zuzuhören. Wenigstens ist zwischen uns wieder alles im reinen, dachte Deon. Etwas Gutes ist dabei herausgekommen. Er dachte an Philips anerkennendes Lächeln. Wahrscheinlich werden wir uns nie wieder sehen, aber wenigstens scheiden wir nicht als Feinde.
Philip hatte seine Pläne geheim gehalten. Es schien, daß ein Krankenhaus in Transvaal, nur für Schwarze, ihn als Assistenzarzt eingestellt hatte. Man hörte auch von einem Stipendium in Frankreich oder Deutschland. Verdient hätte er es ja, denn Grips hatte er weiß Gott, und arbeiten konnte er wie ein Pferd. Ich wünsche ihm alles Gute, wohin er auch geht, dachte Deon.
Wieder kam ihm der Gedanke: Warum habe ich das eben bloß gemacht? Ich wollte mich nicht beliebt machen oder meine Haltung demonstrieren, es war auch nicht, daß ich nur eine zerbrochene Freundschaft retten wollte. Es war keine bewusste Reaktion auf Boets Spöttelei oder eine trotzige Geste gegen meinen Vater. Auch nicht Mitleid oder Zorn über die abfällig lächelnden Gesichter der anderen. Es war irgend etwas in Philips Gesicht, als er sich uns zuwandte, ein Blick, in dem Scham lag und gleichzeitig ein unbezähmbarer, grimmiger Stolz. Er gibt nicht auf, der gute Philip, er läßt sich nicht unterkriegen.
Deon erinnerte sich an den Tag, an dem sie den Schakal gejagt hatten. Er mußte etwa sieben gewesen sein, und Philip (damals noch Flip) war neun. Er wußte noch, wie er bei den anderen Jungen in der Schule mit dem Schakal geprahlt hatte, und einer, so ein Dicker, der als sehr stark galt, hatte ihn Lügner genannt. Boet, der in der vierten Klasse war, verprügelte den Dicken, der in der sechsten war, bis er heulend zum Lehrer rannte, und dann bezogen sie alle beide noch mal Dresche vom Lehrer. Boet wurde sehr bewundert, weil er sich an einen zwei Jahre Älteren rangetraut hatte, und die Schakalgeschichte ging in der allgemeinen Heldenverehrung unter. Deon fand das sehr ungerecht, aber er tröstete sich, denn noch lange danach hatte man vor ihnen beiden einen gesunden Respekt. Es zahlte sich nicht aus, den Van-der-Riet-Jungen zu nahe zu treten, nicht mal dem Kleinen.
Die Schakaljagd fand dann aber doch statt. Er und Flip hatten aus Pfefferbaumzweigen Bogen und Pfeile gemacht, und
Weitere Kostenlose Bücher