Die Erbsünde
war sie knallrot über der Maske.
Nein, heute machte es gewiß keine Freude, im Operationssaal zu sein.
Wer ist unfehlbar? grübelte Deon weiter, der gegen die Wand gelehnt den weiteren Verlauf der Operation verfolgte. Wer kann ein schnelles Urteil fällen, wenn das Leben selbst auf der Anklagebank sitzt? Und doch müssen wir Ärzte so ein Urteil fällen, wie Snyman es vor drei Tagen ohne Zögern tat.
Zweifellos, das wissenschaftliche Beweismaterial stand auf seiner Seite. Der Eingriff war die letzte Rettung. Ohne ihn würde das Kind in weniger als zwei Jahren tot sein, darüber waren die medizinischen Sachverständigen sich einig. Alle Hoffnungen wurden auf den Chirurgen gesetzt. Trotzdem fanden sich nur wenige bereit, eine solche Operation auszuführen.
Und nun war es vollbracht. Ein letzter sauberer Schnitt mit dem Skalpell, eine Naht flink und ordentlich genäht. Ein Nicken und ein Wink. Die Nierenschale wurde bereitgehalten. Snyman hob, in einem Stück, einen riesigen Gewebeklumpen heraus. Alle Augen folgten ihm unfreiwillig. Deon stieß sich von der Wand ab, um besser sehen zu können. Selbst die Hände des Professors hielten einen Augenblick inne, als er auf die übervolle Schale sah, die Anus, Rektum, Vulva, Vagina, Uterus, Urethra und Blase enthielt. Unter der Maske zuckte es leicht in seinem Gesicht, aber das kleine Stoffviereck war groß genug, seine Bewegung zu verbergen, seine Augen verrieten nichts. Er brummte, hielt die Hand auf, um das nächste Instrument entgegenzunehmen, und die Arbeit ging weiter.
Totale Ausräumung des Beckens. Eine habe ich nun gesehen, dachte Deon. Hoffentlich ist es die letzte.
Unter diesen grünen Abdecktüchern lag ein Kind. Mary-Jane Fowler, drei Jahre alt, dem menschliche Hände ein Großteil der Organe genommen hatten, die ihr Wesen ausmachten. Hände, die den edelsten Motiven gehorchten; Hände, die voller Liebe und Güte arbeiteten und mit schwer erworbener Geschicklichkeit; Hände, die nichts wollten als heilen, die voll Gram und Kummer verstümmelten, da sie nur so das Leben retten konnten, das unter diesem Haufen steriler Lappen atmete, hoffentlich noch lange atmen würde.
Die Operation ging weiter.
Nun mußten die Harnleiter in einen Teil der Sigmaschleife eingepflanzt werden, die rechts aus der Bauchwand geführt wurde. Das Ende der Sigmaschleife sollte links einen dauernden künstlichen Darmausgang bilden. Zeit seines Lebens würde das Mädchen einen Gürtel tragen müssen, an dem Plastiktaschen zur Aufnahme von Urin und Stuhl hingen. Es würde nie die geschlechtliche Liebe oder Mutterschaft erleben. Die Eierstöcke waren erhalten geblieben, also würde der hormonelle Trieb sich entwickeln. Aber die Möglichkeit, ihn zu befriedigen, war dahin. Würde es sich je damit abfinden?
Immerhin lebte es. Oder etwa nicht?
Als Johan Van der Riet im August zur Behandlung nach Kapstadt kam, begleiteten ihn Boet und Liselle. Deon hatte sie seit der Hochzeit nicht gesehen. Sein Bruder war in den wenigen Monaten schon etwas dicker geworden, beim Gehen wiegte er sich behäbig in den Hüften. Auch Liselle hatte zugenommen. Die beiden wirkten wohlhabend und gesetzt, von einer neuen Würde umgeben. Boet hatte eine neue Art, seine Umwelt zu betrachten, abschätzend, mit bedächtigen Kopfbewegungen. Der neue Herr vom Wamagerskraal, dachte Deon nicht ohne Neid.
Er war wenig mit ihnen zusammen, verbrachte aber so viel Zeit wie möglich bei seinem Vater. In den letzten Wochen war eine deutliche Veränderung mit ihm vorgegangen: der alte Mann schien förmlich eingeschrumpft zu sein. Früher hätten seine langen Glieder über jedes Krankenhausbett hinausgeragt – jetzt konnte Deon manchmal kaum erkennen, daß sich unter den Decken eine menschliche Gestalt abzeichnete. Er atmete flach wie ein Vogel. Die Schwestern umhegten ihn mit ehrerbietiger Fürsorge.
Am letzten Abend vor Boets und Liselles Rückkehr zum Wamagerskraal traf Deon sich mit ihnen zum Abendessen in ihrem Hotel. Sie unterhielten sich krampfhaft über unwichtige Dinge: das Wetter, Klatsch über gemeinsame Bekannte von früher, die unfreundliche Bedienung in den Geschäften. Nach dem Kaffee gähnte Liselle ein paar Mal verhalten und empfahl sich. Boet ignorierte Deons Proteste und bestellte frischen Kaffee und Kognak für sie beide.
»Was macht die Doktorei?« fragte er.
War da eine Spur von Herablassung? Wenn ja, wollte Deon es nicht gemerkt haben. »Gut«, sagte er, »noch vier Monate, dann habe ich es hinter
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