Die Erde ist nah
unmöglich, nicht der monumentalen Erhabenheit des Augenblicks zu unterliegen.
9
Von diesem Augenblick an beginnt die Mars-Zeitrechnung! Ich zwinge mich zu Nüchternheit. Wir kreisen in einer Entfernung von beiläufig hundertfünfzigtausend Kilometern in der ungefähren Ebene seines Äquators um den Planeten. Auf der beleuchteten Seite erkennen wir die dunklen Flecke der »Meere« und die ockergelben, grauen, rötlichen und rostroten Wüstenflächen des »Festlandes«. Das Polargebiet strahlt in rötlichem Weiß. Während wir den Planeten umfliegen, ändert sich allmählich seine Lichtphase vom Vollmars zur Sichel, bis der ganze Planet in der undurchdringlichen Finsternis des Alls verschwindet. Nur eine schwarze Fläche ohne die leuchtenden Punkte der Sterne deutet uns seine Lage an. Die erste wissenschaftliche Aufgabe der Expedition besteht darin, Detailaufnahmen des Satelliten Deimos zu machen. Er umläuft den Mars in der Entfernung von 23 900 Kilometern. Der Planet Mars schwebt im Raum wie ein großer, wunderbar ausgearbeiteter Globus. Doch es ist kein Modell auf dem Tisch des Unterrichtsraumes. Ich zwinge mich, daran zu glauben.
Geringe Einwirkungen der Bremsdüsen korrigieren unsere Umlaufbahn. Die Rechenmaschinen in der Führerkabine knacksen und speien eine Reihe von Zahlen aus. Jetzt kreisen wir auf einer neuen Bahn. Die Radars versuchen den Marssatelliten zu fixieren. Endlich erscheint er auf dem Bildschirm. Doch eine nur kleine Ungenauigkeit verschuldet, daß sich seine Umlaufbahn nicht mit der unsrigen deckt. Wir sehen den Deimos, diesen von der Sonne beleuchteten Klumpen von acht Kilometern Durchmesser, nur als kleinen, fliegenden bläulichen Stern. Weil eine weitere Korrektur der Umlaufbahn des Konvois ein anspruchsvolles Manövrieren und einen großen Treibstoffverbrauch bedeuten würde, tragen wir diesen ersten wissenschaftlichen Versuch in die Verlustliste ein.
Das spielt keine besondere Rolle, denn er war als zweitrangige Aufgabe in das Projekt eingereiht worden. Unser ganzes Bestreben muß auf die Erfüllung der Grundbedingung für das Gelingen der Expedition konzentriert werden: die Landung auf dem zweiten Marssatelliten Phobos. Das ist unser unerläßlich notwendiger Stützpunkt, sowohl für die Landung auf dem Mars als auch für die Rückkehr zur Erde.
Die Kraft der Bremsmotoren drückt uns in die Sessel. Die Zahl, die die Höhe über der Marsoberfläche angibt, fällt von dreiundzwanzigtausend auf neuntausendfünfhundert. Jetzt hat der geringste Fehler lebensentscheidende Bedeutung. Wir können dem phantastischen Bild in den Sehschlitzen keine Aufmerksamkeit widmen. Sekunden und Metallfädchen entscheiden über unser Leben. Den Berechnungen entsprechend deckt sich jetzt unsere Bahn mit der Bahn des Satelliten. Das erlaubt eine Atempause. Während wir scheinbar bewegungslos im Raum hängen und die gigantische, drohend nahe Kugel des Planeten sich langsam dreht, suchen die Radars im Raum den Phobos.
Die Motoren korrigieren die Umlaufgeschwindigkeit. Nach den Berechnungen soll der Marssatellit in nicht ganz drei Stunden in der Nähe unseres Konvois auftauchen. Durch die Sehschlitze beobachten wir die riesige plastische Karte des Mars, die an ein in Kupfer gehämmertes, mit altem Staub bedecktes Mondrelief erinnert. Weil die Bewegungsgeschwindigkeit des Konvois viel größer ist als die Rotationsgeschwindigkeit des Planeten, sehen wir, wie sich die Licht- und Schattengrenze verschiebt, wie unsere erste Marsnacht herannaht. Nach eineinhalb Stunden breitet sie ihren Mantel über uns aus. Zum erstenmal nach vielen Tagen verschwindet die Sonne hinter dem schwarzen Körper des Mars, und an der Stelle, wo sie verschwindet, umreißt sie den Rand des Planeten mit einem rot flammenden Bogen.Auf dem Schirm des Radars erscheint ein leuchtender Punkt. Der Satellit Phobos nähert sich. Von neuem wird die Umlaufgeschwindigkeit so korrigien, daß sie der Geschwindigkeit des Satelliten gleichkommt.
Die Landung auf dem Satelliten kann nicht im nächtlichen Dunkel ausgeführt werden. Der Flug muß noch drei Stunden und fünfzehn Minuten dauern - drei Stunden Finsternis und Spannung.
Endlich erhellt sich langsam die dünne Atmosphäre des Mars wie ein rötlich flammender Strich einer unvollendeten Kreislinie, und bald danach lodert das Licht der aufgehenden Sonne hervor. Gleichzeitig erhellt sich unweit unseres Konvois am samtschwarzen, sternenbesäten Himmel ein riesiger kosmischer Felsen - der Satellit
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