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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Phobos.
    Wir betrachteten die erhellte Sichel des Mars, die sich wie eine titanische Brücke aus rotem Sandstein über das ganze Blickfeld wölbte. Keiner von uns sprach ein einziges Wort. Mit der erschütternden Erhabenheit dieses Anblicks mußte jeder für sich allein fertig werden. Ich weiß nicht mehr, wie lange das dauerte. Ich verlor den Begriff für die Zeit. Ein scharfes, prasselndes Geräusch, wie beim Einschalten von Strom, bringt die »Maschine der Zeit« wieder in Bewegung: Es meldet sich die Stimme des Kapitäns. Sie ist seltsam verschleiert, fast möchte ich sagen, unschlüssig. Aber sie reißt uns in die harte Wirklichkeit zurück. Die Landung auf dem Phobos ist die Grundbedingung für die spätere Landung auf dem Mars, denn der Phobos soll als Umsteigestation dienen. Nach der Loslösung eines wesentlichen Teils des Mutterschiffes und nach Abmontierung der Treibstoffreservebehälter und eines Lastschiffes soll er als idealer Flugstützpunkt und Versorgungslager dienen. Denn nach Ablauf einer bestimmten Zeit, die wir auf der Oberfläche des Mars verbringen müssen, soll nur der Modul des Mutterschiffes zurückfliegen, so daß beim
    Start vom Mars eine riesige Menge Treibstoff, die wir sonst zur Beförderung aller Vorräte auf die parabolische Bahn benötigen würden, erspart werden kann.
    Nun begann das komplizierte Manöver der verbundenen kosmischen Flugkörper. Der Phobos näherte sich langsam. Seine Dimensionen nahmen erschreckend zu. Im Maßstab des planetarischen Systems war er vielleicht eine unscheinbare Erbsenkugel, doch unsere Sinne nahmen ihn nach irdischen Maßstäben wahr. Ein felsiges Massiv im Durchmesser eines doppelten Mount Everest! Je mehr er sich uns näherte, um so mehr schien sich unser kosmischer Flugkörper zu verkleinern. Die Radiolokatoren maßen die Entfernung. Fünf Kilometer. Und uns schien in der luftleeren Perspektive, daß wir die von Meteoriten zernagten Felsen fast berührten. Eine langsame, kaum merkliche Bewegung rief in mir jenes Gefühl wach, das ich immer auf großen Ozeandampfern hatte, wenn sie in den Hafen einliefen und sich langsam der Mole näherten. Noch tausend Meter. Die Geräte verzeichneten eine geringe Gravitationskraft des Körpers, mit der jedenfalls gerechnet werden mußte. Der sternförmige Konvoi drehte sich langsam so, daß die Landetatzen der Lastschiffe senkrecht zur Oberfläche des Satelliten gerichtet waren. Wir begannen, uns die Begriffe oben und unten zu vergegenwärtigen. Hundert Meter trennten uns noch von einer seichten, felsigen Vertiefung im Boden. Sie erinnerte an den Rest eines kleinen Mondkraters. Die von der Sonne beleuchtete Oberfläche des Phobos strahlte matt wie Samt. Obwohl uns nach Angabe der Instrumente noch fünfundzwanzig Meter von der Oberfläche des Satelliten trennten und die Bewegung fast unmerklich war, erwartete ich jede Sekunde den Aufprall, so täuschend ist die Perspektive im Milieu ohne Atmosphäre. Wieder erinnerte ich mich an den Augenblick, in dem sich ein Überseeschiff zentimeterweise der Mole nähert, und wie ein geringfügigerFehler die Umdrehungen der Schiffsschraube und damit die Bewegung des Schiffes zu wenig abbremst, und wie dieser geringe Rest von Bewegung den Schiffsrumpf an die Mole drückt und die Schutzverschalung aus mächtigen Balken wie Stroh zermalmt. Wir befanden uns zwar im Raum der Schwerelosigkeit, doch das Beharrungsvermögen der Bewegung würde beim Zusammentreffen mit einer festen Masse alle schlafenden Tonnen unserer Flugkörper zu schrecklicher Vernichtung erwecken.
    Endlose Minuten, in denen das Echo des schlagenden Herzens in den Schläfen pochte - und endlich eine fast unmerkliche Berührung. Es war eher ein Beben des Nervensystems der Maschinen und Menschen. Ein Gefühl behaglicher Erleichterung überströmte unsere Körper und Gedanken. In diesem Augenblick erhabener Stille erklang die Stimme des Kapitäns: die Weisung, der Erdzentrale von der gelungenen Landung auf dem Phobos zu berichten. Die Stimme des Kapitäns klang sonderbar gedrückt und unmilitärisch. Wir versammelten uns im Klubraum. Es ist unmöglich zu beschreiben, wie wir uns nun gebärdeten. Wir umarmten uns. Wir lachten. Ein Psychologe würde sagen, wir hätten uns geradezu hysterisch benommen. Aber so würde sich nur ein Psychologe äußern, der so etwas nicht selbst erlebt hat. Da schwanden alle Namen, Vorurteile, Hindernisse und Hemmungen dahin - es gab nichts als uns in der gemeinsamen, unbeweglichen Zeit, in

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