Die Erde ist nah
der Harmonie des Weltalls.
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Fast alle Expeditionsteilnehmer waren jetzt mit Arbeiten beschäftigt, die mit dem Loslösen eines Teils des Mutterschiffes zusammenhingen. Weil der Phobos den Planeten Mars einmal in sieben Stunden neununddreißig Minuten und vierzehn Sekunden umkreist, war es notwendig, die Arbeitszeiten und Ruhepausen in ungefähr dreistündige Zyklen einzuteilen. Die Hälfte der Umlaufbahn des Phobos liegt im Schatten des Planeten Mars, und in dieser Zeit herrscht auf dem Satelliten absolute Finsternis. Wir konnten uns keinesfalls leisten, elektrische Energie zu vergeuden. Da der Phobos auch seine eigene Rotation hat, geschah es regelmäßig, daß wir uns auf der Nachtseite des Satelliten befanden, auch wenn wir über der vom Sonnenlicht bestrahlten Halbkugel des Mars schwebten. Diese Phobos-Nacht war jedoch vom riesigen Spiegel der beleuchteten Marshalbkugel so gut beleuchtet, daß die Lichtverhältnisse fast dem normalen Tag glichen. Weil die Mitglieder der geologischen Gruppe, die auch als Techniker geschult waren, jetzt an der Demontage arbeiteten, waren Compton und ich vorübergehend McKinley als Hilfskräfte bei der Erforschung der Oberfläche des Phobos zugeteilt. Es war ein unvergeßlicher Augenblick, als wir in Raumanzügen die Druckkabine verließen und den Boden b p traten, den noch kein menschliches Wesen berührt hatte! Die eigene Anziehungskraft des Satelliten war so gering, daß wir Sicherungsseile verwenden mußten. Es war schwierig, sich auf der Oberfläche zu halten. Jede geringe Muskelbewegung beförderte uns über eine Entfernung von mehreren Metern. Um unsere Füße schwebten Staub und Gesteinsstücke, die durch bloße Berührung mit dem Fuß von der Oberfläche gehoben wurden. Mir schien, als bewegte ich mich in einer unwirklichen Traumwelt. Der Horizont dieser Welt endete wenige Meter vor mir gleichsam in einem Abgrund, in dessen Tiefen Sterne blitzten. Die gegenseitige Radioverbindung funktionierte ausgezeichnet - doch war sie vorläufig überflüssig, denn auch unser Veteran McKinley sagte kein Wort. Die Eindrücke waren zu stark.
Der blatternarbige Boden war überall uneben und von verwitterten Kratern und Vertiefungen zerfurcht. Wir gelangten zu einer großen Kimme, die wie ein riesiges Stück Schlacke aussah und sich durch ihre Farbe auffallend von ihrer Umgebung unterschied. McKinley schlug ein Stück ab und steckte es in den Sack. Dann nahm er noch einige Bodenproben mit und entschloß sich, eine kleine Tiefensonde zu bohren. Wir stellten die tragbare Bohrgarnitur zusammen und begannen zu bohren. Der Bohrkopf drang in das Gestein wie in weichen Boden. Wir bohrten bis in eine Tiefe von zwei Metern, was für die transportable Bohrmaschine das Maximum bedeutete. Aber auch hier war das Gestein nicht hart. McKinley numerierte alle Bodenmuster und legte sie sorgfältig in den Sack.
Die zweite Bohrung führten wir in einer Mulde durch, die aussah, als wäre das Gestein von irgendeiner Glut geschmolzen worden. Die Gesteinsproben aber, die wir durch die Bohrung erhielten, unterschieden sich in ihrem Aussehen nicht von den Mustern der ersten Bohrung. Trotzdem numerierte sie McKinley wieder und bewahrte sie auf. Die ganze Zeit über befanden wir uns auf der der Sonne zugekehrten Seite und sahen den Planeten Mars überhaupt nicht. Während wir die dritte Sonde bohrten, begannen sich durch die Rotation des Satelliten unsere Schatten zu verlängern. Wir beobachteten, wie sich die Sonne dem Horizont des Phobos näherte. Gleichzeitig begann auf der entgegengesetzten Seite allmählich die riesige, beleuchtete Kugel des Mars aufzutauchen. Wir waren von diesem Anblick so fasziniert, daß wir die Arbeit bleiben ließen und schweigend diese großartige Naturerscheinung betrachteten. Es dauerte nicht lange, und der ganze Horizont war vom plastischen Bild der leuchtenden, kugelförmig gewölbten Marsoberfläche erfüllt, die immer höher und höher stieg, bis sie wie ein phantastisch bemalter Vorhang den ganzen Horizont vor uns ausfüllte. Auf ihm erstrahlten alle Schattierungen von Ocker, Braun, gebrannter Siena und grünlichem und bläulichem Grau, bis zum zartenPerlmutterweiß auf dem dunkelvioletten Samt der Schatten . . .
Nachdem wir die Sammlung der Bodenmuster beendet hatten, kehrten wir zum Mutterschiff zurück, das ständig in Sichtweite lag. Wir waren wie betrunken: Zum erstenmal erlebte ich eine Art Trunkenheit durch Schönheit. Die meisten Besatzungsmitglieder hatten
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