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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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günstigsten erscheint die Situation im Gebiet Deucalionis regio.
    Das rote Licht an der Decke signalisiert den entscheidenden Befehl, sich in den Antigravitationsstühlen festzuschnallen und sich dem unausweichlichen Schicksal der kommenden Stunden anzuvertrauen.
    In den Hörern des geschlossenen Helmes vernehme ich die Stimme des Kapitäns. Dann die Stimme des Haupttechnikers. Dann spüre ich nichts mehr als eine unerträgliche Schwere im Körper und den Geschmack von Blei auf der Zunge .. . Ich verliere den Sinn für die Zeit. Aus der Tiefe der Schmerzen schleicht langsam eine erleichternde Beruhigung hervor. Der unerträgliche Druck schwindet.
    Die Höhe über der Marsoberfläche beträgt zwanzig Kilometer. Die Bremswirkung der dünnen Atmosphäre beginnt sich bemerkbar zu machen. Und wieder schnürt der Druck der Bremsdüsen den Brustkorb zusammen und raubt mir fast das Bewußtsein. Wieder wird der Schmerz von einem Gefühl wonniger Erleichterung abgelöst. Jetzt müßten wir weich aufsetzen. Statt dessen ertönt im Hörer die Stimme Glennons. Den Sinn der Meldung begreife ich nicht, denn ein neuer Ansturm von Überdruck raubt mir die Fähigkeit, darüber nachzudenken, was das bedeutet. Ich verfalle in Ergebenheit und Stumpfheit.
    Endlich löst sich die quälende Umarmung der Schwere, als würde eine riesige, um den Brustkorb gewickelte Schlange ihre Windungen lockern . ..
    Ein Aufprall erschüttert die Kabine. In die Stille leuchtet grünes Licht. Nur langsam komtnt mir zu Bewußtsein, daß dieses Licht das Ende der langen Fahrt bedeutet. Ich sitze im Sessel und kann mich nicht entschließen, mich zu bewegen. Anstatt freudiger Erregung spüre ich schreckliche Müdigkeit. Nach so vielen Tagen Schwerelosigkeit spüre ich das Gewicht des eigenen Körpers.Auch die Zentrale schweigt diesmal ungewöhnlich lange. Endlich gibt der Kapitän der Erdzentrale die Meldung von der gelungenen Landung. Seine Stimme klingt wie durch einen Wattefilter und verliert sich . . .
    Ich weiß nicht, was geschehen ist. Vielleicht habe ich das Bewußtsein verloren, oder vielleicht bin ich einfach eingeschlafen. Ich versuche, mich aus dem Sessel zu erheben, kann aber die Muskeln nicht zum Gehorsam zwingen. Auch der Wille sträubt sich. Schlafen und an nichts denken. Unendlich lange schlafen.
    Endlich zwinge ich mich mit übermenschlicher Kraft, aufzustehen und die Kabine zu verlassen. Ich schwanke wie ein Betrunkener durch den Verbindungsgang. Dort sehe ich jemandem am Sehschlitz stehen und erkenne Allan Watts. Er sieht hinaus und schweigt. Dann schwankt McKinley herbei. Auch er sieht hinaus und sagt: »Mir ist hundsmiserabel, Jungs«, und schließt die Augen.
    An die Wand des Tunnels gestützt, betrachte ich durch den Sehschlitz die Landschaft. Ich sehe nichts anderes als eine scharf beleuchtete, sanftgewölbte, rostfarbene Ebene, die nebelhaft mit dem dunkelvioletten Firmament und einem gelblichen Schleier von Staub verschwimmt. Die Schwere von Millionen Zellen des eigenen Körpers stürzt auf mich ein. Inmitten der toten Wüste bedrückt mich die Schwere des Lebens. Denn in toten Wüsten wiegt das Leben am meisten.
     
    Der erste Mensch auf dem Mars
     
    11

     
    Mühsam schäle ich aus dem Nebel der ersten Stunden auf dem Mars die wirklichen Begebenheiten heraus. Ich weiß nicht genau, was Wahrheit ist und was nur Vermutungen sind. Doch eines weiß ich genau: Ich hatte kein ungewöhnliches oder feierlich erhebendes Gefühl. Ich erinnere mich vor allem an zermürbende Kopfschmerzen, an Schwindelanfälle und Übelsein im Magen. Ich erinnere mich auch, daß in den ersten Stunden nach der Landung Messungen mit Geräten durchgeführt wurden, die die Lebensbedingungen in den Wohnräumen des moduls bestimmen sollten; weniger nach einem vorbestimmen Bordprogramm als wahrscheinlich aus reinem Selbsterhaltungstrieb. All das ist in Nebel gehüllt, in dem sich gespenstische Gestalten bewegten, die in irgendeiner bekannten sprache redeten.
    Nach sechzehn Stunden, die zum Schlaf für die ganze Besatzung bestimmt waren, ertönte aus der Zentrale das Wecksignal. Es war sieben Uhr früh nach Mars-Zeit. Ich erinnere mich, daß ich zum Sehschlitz schwankte, um mich zu überzeugen, daß ich wache. Ich sah jedoch nichts als trüben, gelblichen Nebel. Das Gehirn nahm Erscheinungen wahr, sträubte sich aber, darüber nachzudenken. Weil ich mich elend fühlte, zwang ich mich, wenigstens über die Ursachen nachzudenken; das Gefühl der schrecklichen Schwere

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