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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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hatte seine reale Ursache bestimmt nicht in den Bedingungen des Mars; denn vom Gewicht des irdischen Körpers kann man hier ungefähr zwei Drittel abrechnen. Sicher war die Dosierung der Kompensationsstoffe im Blut daran schuld. Auch langfristige Versuche und genaue Berechnungen können, wie man sieht, die Wirklichkeit nicht ersetzen. Es blieb mir nichts anderes übrig als zu hoffen, daß die Regenerationsgesetze der Natur, diese unerläßlichen Verbündeten jedes Arztes, selbst helfen würden.
    Alle Mitglieder der Expedition wurden in den Klubraum gerufen. Ich war erschüttert, als ich diese jämmerliche Versammlung sah. Endlich konnten wir uns auf menschliche Art bewegen, gehen, uns umdrehen und nach Belieben niedersetzen, und doch schien es, als hätten wir diese natürlichen menschlichen Bewegungen verlernt. Wir torkelten unsicher, jeder versuchte, sich zu setzen oder wenigstens aufzustützen. Kapitän Norton und O'Brien machten gleichfalls keine besonders gute Figur. Der Kapitän fragte Watts und mich, wie lange die Akklimatisierung wohl dauern würde. Ich gestehe, daß Watts und ich sehr unbestimmt antworteten. Eines war jedoch sicher, daß in den kommenden vierundzwanzig Stunden an keinerlei körperliche oder geistige Arbeit zu denken war. Wir bestimmten diese Zeit zur Erholung, die jeder nach seinem Geschmack und seiner physischen Verfassung selbst wählen sollte. Die Sache fiel so aus, daß fast alle in die Schlafkabinen gingen. Der Kapitän begab sich in die Zentrale, wo Jenkins völlig erschöpft am Empfangsgerät auf eine Nachricht von der Erdzentrale wartete.
    Ich blieb mit Watts und O'Brien im Klub. Weil uns das Sprechen schwerfiel, saßen wir schweigend in den Sesseln. Das trübe und schwache Licht in den runden Luken, die wie von einer milchigen Trübung überzogen waren, nahm langsam an Intensität zu. Endlich begann O'Brien: »Ich habe immer schon Athleten bewundert«, sagte er. »Als Biologen sollten mich eigentlich die Grenzen der physischen Möglichkeiten des Organismus interessieren. Aber viel mehr als die Zahl der gestemmten Kilogramme und zurückgelegten Kilometer interessiert mich die Kraft, die den Organismus bewegt. Ich bin sogar auf den ketzerischen Gedanken gekommen, daß der Wille, so wie das Weltall, unbegrenzt ist. Nur dahinterzukommen, worin sein Wesen besteht - in diesem Augenblick würde ich das sehr brauchen: den Willen haben, aufzustehen und wegzugehen, weil mir übel im Magen ist. Das ist erbarmlieh wenig. Dazu genügt es, ein Hund oder eine Katze zu sein.« Dann stand er auf und torkelte hinaus. Auch Watts ging, sich niederzulegen. Obwohl mein Schädel brummte, zwang ich mich dazu, in das Observatorium zu steigen. Die Treppe, die im Zustand der Schwerelosigkeit nur zur Andeutung irdischer Verhältnisse diente, war jetzt ein Marterwerkzeug. Ich nahm, wie in vergangenen Kindesjahren, immer nur eine Stufe, und trotzdem bedeckte Schweiß mein Gesicht. Ich redete mir ein, dies alles im Interesse der Wissenschaft zu vollbringen. In Wirklichkeit aber wollte ich vor allem dieser verheerenden Apathie entrinnen. Im Observatorium saß Wellgarth mit gesenktem Kopf in einem Sessel und schlief. Als sich nach einigen Minuten mein Puls und auch der Atem beruhigte und als die Schwindelanfälle und die Trübung der Augennetzhaut schwanden, schaute ich mich um. Mein Blick glitt zu den breiten Sehschlitzen. Ich spürte, wie sich die Kopfschmerzen in den Tiefen der Schädelhöhle verloren, wie sich der Druck auf den Brustkorb lockerte und das fiebrige Unwohlsein schwand. Das also war das Land meiner Jugendträume. Alles, was ich sehe, ist die von meinen Sinnen unabhängige Wirklichkeit. So weit das Auge reicht, erstreckt sich nach allen Seiten die in einen dünnen Staubschleier gehüllte eintönige Wüste mit seichten Kratern und Erhöhungen, aus denen nur stellenweise rötlichbraune Trümmer verwitterter Felsen herausragen. Der Horizont verliert sich in einem Schleier, durch den rot die aufgehende, sonderbar kleine Sonne scheint. Auf dem dunkelvioletten, fast schwarzen Firmament flimmern Sterne. Die frostige Majestät dieser unberührten Öde verscheucht alle physischen Empfindungen außer der Kälte.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dagestanden habe. Endlich entschloß ich mich, Wellgarth zu wecken, denn diesen Sonnenaufgang zu verschlafen, schien mir wie ein Frevel. Wellgarth war nicht wach zu bekommen, auch nicht nach mehrmaligem Rütteln. Dann öffnete er doch die Augen und sah mich

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