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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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vom wütenden Ansturm des Windes erschüttert. Wir liegen machtlos und warten . . . Die Luken an der Windseite sind verschüttet. Sind wir am Ende dazu verurteilt, von dem Staub lebendig begraben zu werden? Nach den Erschütterungen der Kabine zu urteilen, ist die Astra noch nicht ganz verschüttet. Das schreckliche und pausenlose Gebrüll des Sturms verursacht Schmerzen im Hinterkopf. Wir verlieren den Maßstab für die Zeit. Alles verschmilzt zu einem glühenden, betäubenden Schmerz.
    Das Chronometer zeigt Mittag. Draußen aber ist es stockfinster. Der Sehschlitz im Dach ist noch nicht verweht; wir schieben den Schutzdeckel beiseite und sehen im Schein des elektrischen Lichts trübe Ströme von Sand und Staub darüber hinwegfegen. O'Brien schaltet die Radioverbindungen ein. Die Hörer sind taub.
    Gegen Ende des Tages läßt das Wüten des Sturmes nach, die Kabine hört auf zu schwanken. Wir beraten über die Situation, soweit wir uns überhaupt in diesem betäubenden Lärm verständigen können. Es müßte festgestellt werden, was mit den Ladungen auf den Anhängern geschehen ist, wie groß die Staubwehen und in welchem Zustand die Eidechsen sind. Doch bei diesem Wetter ist es auch gefährlich, die Kabine am Sicherungsseil zu verlassen. McKinley, Williams und Briggs melden sich; sie sind noch am besten bei Kräften. O'Brien lehnt das Angebot mit der Bemerkung ab, daß eine bloße Information für uns keinen Zweck habe, und an irgendeine Tätigkeit sei nicht zu denken.
    Gegen Mitternacht läßt der Sturm etwas nach. Seine Stimme dröhnt jetzt wie das eintönige Rauschen eines Wasserstroms. O'Brien gelingt es, Verbindung mit der Basis herzustellen. Sie ist ungewöhnlich schlecht, und das meiste des Gesprächs ist unverständlich. Wir verstehen aber doch soviel, daß auch die Basis von dem Staubsturm heimgesucht wurde und daß sie dort um uns besorgt sind. O'Briens Meldung ist ein bißchen rosiger als die Wirklichkeit. Nach dem Gespräch mit der Basis wird unsere Stimmung besser, denn das zermürbende Gefühl der Abgeschiedenheit von der Welt und von den Menschen ist zurückgedrängt. O'Brien ist jetzt damit einverstanden, daß wir versuchen, draußen die Situation des Lagers zu erkunden. McKinley kehrt jedoch aus der Überdruckkabine zurück; die Schiebetür rührt sich nicht, das Fahrzeug ist offensichtlich vom Staub verschüttet. Wir sind gefangen. Unsere Situation ist beinahe katastrophal. Falls wir uns nicht aus eigener Kraft befreien können, ist die Zeit unser Hauptfeind. Der Großteil der Chemikalien für die Sauerstoffgeräte ist auf die einzelnen Anhänger verteilt, um das Risiko eines Verlustes möglichst herabzusetzen. Die Sauerstoffregenerationsgeräte können das Leben in der vollbesetzten Kabine maximal für hundert Stunden sichern. Eine Rettungsexpedition von der Basis kann sich frühestens in sechs Tagen zu uns durchkämpfen, vorausgesetzt, daß sie das verwehte Lager überhaupt findet, was mehr als unwahrscheinlich ist, auch bei idealem Wetter. Noch unwahrscheinlicher ist, daß uns die Libelle entdecken könnte.
    Ich habe das Gefühl, daß wir mit jedem Einatmen wertvolle Luft vergeuden. Ich weiß, daß jetzt das folgt, was wir bei der Ausbildung jahrelang geübt haben zu überwinden: die Angst um Luft. Ich spüre, wie eine kalte Pranke in meinen Nacken schlägt. Der Schweiß tritt mir auf die Stirn. Gleichzeitig überflutet mich ein Gefühl der Scham und Schande. Ich stehe nackt vor meinem Analytiker-Gehirn, das mir verächtlich zuflüstert: Jetzt wird sich zeigen, daß du nicht mehr bist als ein gewöhnliches Lebewesen . . . Verwirrt taste ich nach jener Gewißheit, von der ich glaube, daß sie immer meine Stütze sein wird: die Überzeugung von der natürlichen Unumgänglichkeit des Todes. Jetzt hast du sie vor dir, diese deine natürliche Unumgänglichkeit, sagt mir mein Gehirn. Jetzt setz dich mit ihr auseinander. Zu meiner aufrichtigen Schande muß ich gestehen, daß ich mit diesem Gespenst nicht fertig wurde. Wir bemühen uns vergeblich, die Tür zu öffnen. O'Brien schlug vor, die Astra mit Hilfe ihres Motors frei zu machen. Eine neue Hoffnung!
    Der Motor sprang an. Nach einigen endlos scheinenden Minuten spürten wir zuckende Erschütterungen unter den Füßen. Sheldon kam aus der Fahrerkabine und sagte: »Ich möchte, daß ihr erst einmal wißt, daß ich riskiere, den Motor kaputtzumachen. Soll ich weitermachen?« »Lassen Sie es bleiben«, erwiderte O'Brien, der bisher geschwiegen hatte.

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