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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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bedeutungsvoll, das sei ein Brief von seinem Sohne Victor, der beim Militär war.
    »Ah! Ah! Dieser Staatskerl!« sagte Bécu interessiert. »Und was erzählt er denn? Mußt für uns noch mal von vorn anfangen.«
    Lengaigne begann noch einmal von vorn mit dem Vorlesen.
    »Meine lieben Eltern, ich schreibe Euch, damit Ihr wißt, daß wir jetzt, seit einem Monat weniger sieben Tagen, in Lille in Flandern liegen. Die Gegend ist nicht übel, wenn nur nicht der Wein so teuer wäre, denn man muß bis sechzehn Sous für den Liter zahlen ...«
    Und der Brief mit seinen vier Seiten fleißigem Geschreibsel enthielt kaum etwas anderes. Ein und dieselbe Einzelheit kehrte endlos wieder, in immer länger werdenden Sätzen. Alle schrien übrigens jedesmal auf beim Preis des Weins: Solche Gegenden gab es also, erbärmliche Garnison! Aus den letzten Zeilen las man den Versuch heraus, Geld abzuzapfen, zwölf Francs wurden erbeten, damit er ein verlorenes Paar Schuhe ersetzen könne.
    »Ah! Ah! Dieser Staatskerl!« sagte der Feldhüter immer wieder. »Ein ganzer Kerl, Himmelsakrament!«
    Nach den beiden Litern bestellte Jesus Christus noch zwei weitere, Flaschenwein zu zwanzig Sous. Er zahlte stets sofort, weil er Erstaunen erregen wollte, klopfte dabei mit seinem Geld auf den Tisch und versetzte die Schenke in Aufruhr; und als das erste Fünffrancsstück vertrunken war, zog er ein zweites hervor, schraubte es sich wiederum ins Auge und schrie, wenn keine mehr da seien, er habe noch welche.
    Auf diese Weise verging der Nachmittag im Gedrängel der Trinker, die inmitten der zunehmenden Sauferei kamen und gingen. Alle, die wochentags so düster und so besonnen waren, brüllten, hieben mit Fäusten auf die Tische, spuckten ungestüm. Ein großer Hagerer kam auf den Einfall, sich rasieren zu lassen, und sofort setzte ihn Lengaigne mitten unter die anderen, schabte ihm so derb das Leder, daß man das Rasiermesser auf der Schwarte kratzen hörte, als habe er ein Schwein gebrüht. Ein zweiter nahm den Platz ein, das gab einen Jux, Und die Zungen legten los, sie zogen über Macqueron her, der sich nicht mehr herauswagte. War es nicht die Schuld dieses mißratenen Stellvertretenden Bürgermeisters, wenn der Mann mit dem Tanzboden nicht hatte kommen wollen? Man half sich eben. Aber klar, der bewilligt lieber Landstraßen, um sich für das Gelände, das er angeblich verschenkte, den dreifachen Preis bezahlen zu lassen. Diese Anspielung rief einen Sturm von Gelachter hervor. Die dicke Flore, für die dieser Tag ein Triumph bleiben sollte, lief jedesmal vor die Tür und brach in beleidigende Heiterkeit aus, wenn sie gegenüber Cœlinas grün gewordenes Gesicht hinter den Scheiben vorüberstreichen sah.
    »Zigarren, Madame Lengaigne!« bestellte Jesus Christus mit donnernder Stimme. »Von den teuren, zu zehn Centimes!«
    Als die Nacht hereingebrochen war und die Petroleumlampen angezündet wurden, trat die Bécu ein, die ihren Mann holen kam. Aber eine tolle Kartenpartie war im Gange.
    »Hör mal, kommst du nun? Es ist acht Uhr durch. Es muß endlich gegessen werden.«
    Mit der majestätischen Miene eines Säufers sah er sie starr an.
    »Scher dich zum Teufel!«
    Da sprudelte Jesus Christus los:
    »Madame Bécu, ich lade Sie ein ... Na? Wir drei wollen uns mal eine tolle Fresserei leisten ... Hören Sie, Wirtin, alles vom Besten, was Sie haben, Schinken, Kaninchen, Nachtisch ... Und haben Sie keine Angst. Treten Sie naher und gucken Sie mal ein bißchen ... Aufgepaßt!« Er tat, als durchwühle er lange seine Taschen. Dann zog er mit einem Mal sein drittes Geldstück hervor und hielt es in die Luft. »Kuckuck! Ah, da ist es!«
    Alles wälzte sich vor Lachen; einem Dicken blieb beinahe die Luft dabei weg. Dieser Jesus Christus war trotz allem ein spaßiger Kerl! Und manche machten sich den Ulk, ihn von oben bis unten abzutasten, als habe er Taler im Fleisch, die er herausholen konnte, bis sein Durst gestillt war.
    »Wissen Sie, Mutter Bécu«, wiederholte er an die zehn Mal beim Essen, »wenn Ihr Mann will, schlafen wir zusammen ... Geht's?«
    Sie war sehr dreckig, wie sie sagte, denn sie hatte ja nicht gewußt, daß sie heim Fest bleiben würde; und sie sah mickerig aus, schwarz, dünn und rostig wie eine alte Nadel, und sie lachte, während ihr der fidele Bruder unter dem Tisch an die nackten Schenkel griff. Ihr sternhagelvoll besoffener Mann sabberte, grinste, brüllte, daß für diese Hure beide nicht zuviel wären.
    Es schlug zehn Uhr, der Tanz

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