Die Erde
Fingerspitzen ein schönes Hundertsousstück, das wie eine Monstranz glänzte.
Er glaubte sich bestohlen, erbleichend durchwühlte er seine Taschen. Aber die zwanzig Francs waren vollzählig da, die Schlampe mußte mit ihren Gänsen Geschäfte gemacht haben; und der Streich kam ihm drollig vor; er grinste väterlich und ließ sie davonlaufen.
Jesus Christus war nur in einem Punkte streng, nämlich wenn es um die Moral ging. Deshalb geriet er auch eine halbe Stunde später in großen Zorn. Er ging nun ebenfalls davon, er schloß seine Tür ab, als ein Bauer im Sonntagsstaat, der auf der Landstraße vorbeikam, ihn anrief:
»Jesus Christus! He! Jesus Christus!«
»Was denn?«
»Deine Tochter liegt auf dem Rücken.«
»Na und?«
»Na, und ein Kerl liegt drauf.«
»Wo denn das?«
»Da, im Graben an der Ecke von Guillaumes Ackerstück.«
Da hob er wütend beide Fäuste zum Himmel:
»Gut! Danke schön! Ich nehme meine Peitsche! Ah, die verfluchte Schlampe macht mir Schande!«
Er war wieder ins Haus zurückgegangen, um links hinter der Tür die große Fuhrmannspeitsche vom Haken zu nehmen, deren er sich nur bei solchen Gelegenheiten bediente. Und er machte sich mit der Peitsche unterm Arm auf den Weg. Geduckt schlich er an den Büschen entlang, wie auf der Jagd, um unversehens über das Liebespärchen herzufallen.
Aber als er bei der Biegung der Landstraße herauskam, gewahrte ihn Nénesse, der auf einem Steinhaufen Schmiere stand. Delphin lag auf Bangbüx; die beiden Jungen wechselten sich übrigens ab, der eine stand Wache, während der andere löchelte.
»Vorsicht!« schrie Nénesse. »Da kommt Jesus Christus!«
Er hatte die Peitsche gesehen, wie ein Hase raste er querfeldein davon.
Im grasbewachsenen Graben hatte Bangbüx mit einem Ruck Delphin zur Seite geworfen. Ach, Pech gehabt, der Vater! Sie hatte jedoch die Geistesgegenwart, dem Bengel das Hundertsousstück zu geben.
»Versteck das in deinem Hemd, du gibst es mir nachher wieder ... Schnell, nimm die Beine in die Hand, verflucht noch mal!«
Wie ein Ungewitter stürmte Jesus Christus daher, erschütterte die Erde mit seinem Galopp und ließ seine große Peitsche umherwirbeln, so daß sie knallte wie Flintenschüsse.
»Du Schlampe, du Hure! Dir werd ich die Flötentöne beibringen!«
Als er den Sohn des Feldhüters erkannte, ließ er ihn in seiner Wut entkommen, und der Junge, der die Hosen noch nicht wieder richtig hochgezogen hatte, entfloh auf allen vieren zwischen die Brombeerbüsche. Sie, die sich verheddert hatte in ihrem hochgeschobenen Rock, konnte nicht leugnen. Mit einem Hieb, der die Schenkel peitschte, brachte er sie auf die Beine, zog sie aus dem Graben. Und die Jagd begann.
»Da, du Straßendirne! – Da, probier mal, ob dir das das Loch stopft!«
Ohne ein Wort und an solche Rennen gewöhnt, galoppierte Bangbüx in Ziegensprüngen davon. Die gewöhnliche Taktik ihres Vaters war es, sie so nach Hause zurückzubringen und dort einzusperren. Deshalb versuchte sie, zur Ebene zu entkommen, und hoffte, ihn zu ermüden. Diesmal wäre es ihr dank eines Zusammentreffens beinahe geglückt. Seit einer Weile standen Elodie und Herr Charles, der die Kleine zum Fest führte, dort, sie waren wie festgewurzelt mitten auf der Landstraße stehengeblieben. Sie hatten alles gesehen; die Kleine hatte die Augen weit aufgerissen vor harmloser Verblüffung; er war rot vor Scham und barst vor gutbürgerlicher Entrüstung. Und das schlimmste war, daß sich die schamlose Bangbüx, als sie ihn erkannte, unter seinen Schutz stellen wollte; er stieß sie zurück, aber die Peitsche kam näher; und um ihr auszuweichen, rannte sie um ihren Onkel und ihre Kusine herum, während ihr Vater ihr mit Flüchen und Kasernenhofausdrücken ihr Benehmen vorwarf, ebenfalls im Kreis herumrannte und mit voller Wucht und der ganzen Kraft seiner Arme die Peitsche knallen ließ. Eingeschlossen in diesen gräßlichen Kreis, mußte sich Herr Charles benommen und entgeistert damit abfinden, Elodies Gesicht in seiner Weste zu bergen. Er war so kopflos, daß er selber ausfallend wurde:
»Dreckloch du, willst du uns wohl loslassen! Wer hat mir bloß diese Familie auf den Hals geschickt, in diesem Landbordell.«
Aus der Deckung vertrieben, fühlte Bangbüx, daß sie verloren war. Ein Peitschenhieb, der sie unter den Achseln umschnürte, ließ sie wie einen Kreisel herumwirbeln; ein zweiter legte sie um und riß ihr eine Strähne Haare aus. Auf den rechten Weg zurückgebracht, hatte sie
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