Die Erde
auch sehr viel auszustehen. Wenn ihr auch den Arzt mitbrächtet?«
Er war sprachlos, machte große Augen. Was denn? Noch eine, die sich verhätscheln lassen wollte? Er würde todsicher nicht für alle Welt bezahlen!
»Nein doch, nein doch!« rief Lise zwischen zwei Wehen. »Das wird schon gehen mit mir! Man hat doch das Geld nicht, um es zum Fenster hinauszuwerfen.«
Schleunigst peitschte Geierkopf auf das Pferd ein, und das Wägelchen verlor sich in der hereinbrechenden Nacht auf der Landstraße nach Cloyes.
Als zwei Stunden später Patoir endlich eintraf, hatte sich noch nichts geändert: die Coliche lag röchelnd auf der Seite, Lise krümmte sich wie ein Wurm, war halb von ihrem Sessel gerutscht. Das dauerte nun schon vierundzwanzig Stunden.
»Na, wer ist dran von den zweien?« fragte der Tierarzt, der stets zum Scherzen aufgelegt war. Und Lise duzend, sagte er sofort: »Also, Dicke, wenn du nicht dran bist, dann mach mir die Freude und kriech in dein Bett. Du hast es nötig.«
Sie antwortete nicht, sie ging nicht weg.
Er untersuchte bereits die Kuh.
»Teufel, euer Tier ist in einem verdammten Zustand. Ihr holt mich immer zu spät ... Und ihr habt gezogen, ich sehe das. Ihr hättet lieber das Tier auseinandergerissen, statt zu warten, verfluchte Tolpatsche!«
Alle hörten ihm zu, schauten zu Boden und sahen ehrerbietig und verzweifelt aus; allein die Frimat kniff voller Verachtung die Lippen zusammen. Patoir zog seinen Rock aus, streifte die Hemdärmel hoch, schob die Füße des Kalbes wieder rein, nachdem er eine Schnur daran geknotet hatte, um sie wieder rauszubekommen, dann tauchte er die rechte Hand hinein.
»Natürlich«, fuhr er nach einem Augenblick fort, »es ist schon so, wie ich mir dachte: der Kopf ist nach links umgebogen. Ihr hättet bis morgen ziehen können, niemals wäre das Kalb rausgekommen. Und damit ihr Bescheid wißt, Kinder, euer Kalb ist geliefert. Ich habe keine Lust, mir an seinen Beißern die Finger zu zerschneiden, bloß um es umzudrehen. Übrigens würde ich es nicht besser rauskriegen und höchstens die Mutter zuschanden machen.«
Françoise brach in Schluchzen aus.
»Herr Patoir, ich bitte Sie, retten Sie unsere Kuh! Die arme Coliche, die mich so liebt ...«
Lise, die ein schneidender Schmerz grün werden ließ, und Geierkopf, dem nichts weh tat und der so hart war beim Leid anderer, sie jammerten beide, wurden weich in ein und derselben flehentlichen Bitte:
»Retten Sie unsere Kuh, unsere alte Kuh, die uns seit Jahr und Tag so gute Milch gibt ... Retten Sie sie, Herr Patoir ...«
»Aber verstehen wir uns recht: ich werde gezwungen sein, das Kalb zu zerschneiden.«
»Ach, das Kalb, was schert uns das Kalb! – Retten Sie unsere Kuh, Herr Patoir.«
Da ließ sich der Tierarzt, der eine blaue Schürze mitgebracht hatte, eine leinene Hose geben; und nachdem er sich hinter der Rougette splitternackt ausgezogen hatte, schlüpfte er einfach in die Hose und band sich dann die Schürze um die Hüften. Als der dicke und kurzbeinige Mann mit dem gutmütigen Doggengesicht in dieser leichten Bekleidung wieder zum Vorschein kam, hob die Coliche den Kopf, hörte zu klagen auf, weil sie zweifellos verwundert war. Aber niemand lächelte, so beklommen war ihnen ums Herz vor banger Erwartung.
»Zündet Kerzen an!«
Er ließ vier Kerzen auf den Boden stellen, dann streckte er sich hinter der Kuh, die sich nicht mehr erheben konnte, lang auf dem Bauch ins Stroh. Eine Weile blieb er so platt liegen und hatte die Nase zwischen den Schenkeln des Tieres; endlich entschloß er sich, an der Schnur zu ziehen, um die Füße wieder herauszuholen, die er aufmerksam untersuchte. Neben sich hatte er ein längliches Kästchen auf die Erde gestellt; und er stützte sich auf einen Ellbogen, nahm ein Bistouri58 heraus; da wunderte er sich plötzlich über ein heiseres Stöhnen, und er setzte sich auf.
»Was denn, Dicke, du bist immer noch da? – Hab mir ja auch gleich gedacht: das ist doch nicht die Kuh.«
Das war Lise, die von furchtbaren Schmerzen befallen war und preßte, als sollte ihr der Schoß weggerissen werden.
»Aber, Himmelsakrament, erledige doch deine Sache in deiner Stube, und laß mich meine hier erledigen! Das stört mich ja, das geht mir auf die Nerven, wenn ich höre, wie hinter mir jemand preßt, Ehrenwort ... Spaß beiseite, hat denn das Sinn und Verstand? Bringt sie weg, ihr andern da!«
Die Frimat und die Bécu entschlossen sich, Lise unter die Arme zu fassen und sie auf ihre
Weitere Kostenlose Bücher