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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Stube zu führen. Sie ließ es mit sich geschehen, sie hatte keine Kraft mehr, Widerstand zu leisten. Aber als sie durch die Küche gingen, in der eine einsame Kerze brannte, verlangte sie, daß man alle Türen offenlasse, weil sie sich einbildete, sie sei dann weniger weit weg. Schon hatte die Frimat das Schmerzenslager nach ländlichem Brauch hergerichtet: ein einfaches, über ein Bund Stroh geworfenes Laken und drei umgekippte Stühle in der Mitte der Stube. Lise hockte sich nieder, spreizte die Beine, lehnte den Rücken gegen einen der Stühle, stemmte das rechte Bein gegen den zweiten und das linke gegen den dritten. Sie hatte sich nicht einmal ausgezogen, ihre Füße krümmten sich in den Holzschuhen, ihre blauen Strümpfe reichten bis zu den Knien hoch; und ihr auf den Busen zurückgeschlagener Rock entblößte ihren unförmigen Bauch, ihre üppigen, sehr weißen Schenkel, die so breit auseinander klafften, daß man ihr bis ins Herz sah.
    Geierkopf und Françoise waren im Stall geblieben, um Patoir zu leuchten, hatten sich beide hingehockt und hielten jeder eine Kerze dicht heran, während der Tierarzt, der sich wiederum lang hingestreckt hatte, um die linke Haxe mit dem Bistouri einen Schnitt ausführte. Er löste das Fell ab, zog am Bug, der sich häutete und abriß. Aber Françoise, die blaß und fast ohnmächtig wurde, ließ ihre Kerze fallen und entfloh schreiend:
    »Meine arme alte Coliche ... Ich will das nicht mit ansehen! Ich will das nicht mit ansehen!«
    Patoir brauste auf, zumal er sich wieder erheben mußte, um einen beginnenden Brand zu löschen, den die ins Stroh gefallene Kerze verursacht hatte.
    »Himmelsakrament, so eine Göre! Die hat ja Nerven wie eine Prinzessin! – Die würde uns räuchern wie Schinken.«
    Françoise war davongerannt und hatte sich auf einen Stuhl geworfen in der Stube, in der Lise niederkam, deren klaffender Spalt sie nicht weiter erschütterte, das war wie etwas ganz Natürliches und Gewöhnliches, nach alledem, was sie soeben gesehen hatte. Mit einer Handbewegung verscheuchte sie das Bild des lebend zerschnittenen Fleisches; und sie erzählte stammelnd, was man mit der Kuh anstellte.
    »Das geht doch nicht, ich muß zurück!« sagte Lise plötzlich, die sich trotz ihrer Schmerzen aufrichtete, um sich von ihren drei Stühlen zu erheben. Aber schon hielten die Frimat und die Bécu, die böse wurden, sie fest, wo sie war.
    »Na so was, wollt Ihr wohl ruhig bleiben! Was habt Ihr denn bloß im Leibe?«
    Und die Frimat fügte hinzu:
    »So, da habt Ihr nun auch die Blase zum Platzen gebracht!«
    Tatsächlich war in einem jähen Strahl das Wasser abgegangen, das das Stroh unter dem Laken sofort aufsaugte; und die äußerst anstrengenden Wehen, die Preßwehen begannen. Der nackte Bauch preßte von selbst, schwoll an zum Bersten, während sie die blaubestrumpften Beine anzog und wieder ausspreizte mit der unbewußten Bewegung eines Frosches, der ins Wasser plumpst.
    »Na ja«, fing die Bécu wieder an. »Zu Eurer Beruhigung will ich nachsehen gehen, und ich sage Euch dann, was es Neues gibt.«
    Von da an lief sie nur noch zwischen Stube und Stall hin und her. Um sich etwas Weg zu sparen, schrie sie schließlich von der Mitte der Küche aus, was es Neues gab. Der Tierarzt setzte die Zerstückelung fort in der mit Blut und Schleim durchtränkten Streu, eine mühselige und dreckige Schufterei, aus der er abscheulich, von oben bis unten besudelt, hervorging.
    »Es geht gut, Lise«, schrie die Bécu. »Preßt unbekümmert ... Wir haben die zweite Schulter ... Und jetzt reißt er den Kopf ab ... Er hat den Kopf, oh, so ein Kopf! – Und nun ist's vorbei, bei diesem Schnitt ist der Körper wie ein Paket rausgefallen.«
    Lise begleitete jede Phase der Operation mit einem herzzerreißenden Seufzer; und man wußte nicht, ob sie um ihrer selbst willen oder um des Kalbes willen litt.
    Aber plötzlich brachte Geierkopf den Kopf, weil er ihn ihr zeigen wollte. Es gab ein allgemeines Geschrei der Bewunderung.
    »Oh, das schöne Kalb!«
    Lise, die immer noch Wehen hatte und mit gespannten Muskeln und geschwollenen Schenkeln noch stärker preßte, schien von untröstlicher Verzweiflung erfaßt zu sein.
    »Mein Gott! Ist das ein Unglück! – Oh, das schöne Kalb, mein Gott! – Ist das ein Unglück, ein so schönes Kalb, ein so schönes Kalb, wie man noch nie eines gesehen hat!«
    Françoise jammerte ebenfalls, und aller Klagen wurden so herausfordernd, waren so voller versteckter feindseliger

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