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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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von seinem Lauf und durchnäßt von einem jähen Platzregen. Noch hatte sich niemand eingefunden. Nur Hilarion war da beim Eingang des Kirchenschiffes und räumte eben eine Ecke der Taufkapelle auf, in der man vor alten zerbrochenen Fliesen nicht treten konnte, die schon immer dort gelegen hatten. Seit dem Tode seiner Schwester lebte der Blödling von der öffentlichen Mildtätigkeit, und der Pfarrer, der ihm dann und wann ein Zwanzigsousstück zusteckte, hatte den Einfall gehabt, ihn mit diesem schon so oft beschlossenen und unaufhörlich wieder aufgeschobenen Saubermachen zu beschäftigen. Einige Minuten lang interessierte er sich für diese Arbeit. Dann fuhr er das erstemal vor Zorn auf:
    »Na, halten die mich etwa zum besten? Es ist schon zehn Minuten nach zwei!«
    Als er das stumme, verschlafen aussehende Haus von Geierkopf auf der anderen Seite des Platzes betrachtete, gewahrte er den Feldhüter, der, seine Pfeife rauchend, in der Vorhalle der Kirche wartete.
    »Läute mal, Bécu«, rief er, »damit diese Schlafmützen kommen.«
    Bécu, der wie immer sehr betrunken war, hängte sich an den Glockenstrang. Der Pfarrer legte sein Chorhemd an. Er hatte schon am Sonntag den Taufakt ins Kirchenbuch eingetragen, und er gedachte die heilige Handlung im Handumdrehen allein abzumachen, ohne Hilfe der Ministranten, die ihn doch nur zur Raserei brachten. Als alles bereit war, riß dem Abbé von neuem die Geduld. Zehn weitere Minuten waren verstrichen; hartnäckig und aufreizend läutete die Glocke weiter im tiefen Schweigen des menschenleeren Dorfes.
    »Was machen die denn bloß? Man muß sie also bei den Ohren herbeizerren?«
    Endlich sah er die Große aus Geierkopfs Haus treten, die in der ihr eigenen Art, der Art einer bösen alten Königin, dahinschritt, so dürr wie eine Distel und kerzengerade trotz ihrer fünfundachtzig Jahre. Die ganze Familie befand sich in heller Aufregung: alle Gäste waren da bis auf die Patin, auf die man seit dem Morgen vergeblich wartete; und ganz durcheinander, wiederholte Herr Charles unaufhörlich, das sei sehr verwunderlich, er habe erst gestern abend einen Brief bekommen, bestimmt werde seine Frau, die vielleicht in Cloyes aufgehalten worden sei, jeden Augenblick eintreffen. Lise war sehr besorgt, weil sie wußte, daß der Pfarrer es nicht gerade liebte, wenn man ihn warten ließ, und sie hatte schließlich den Einfall gehabt, die Große zu ihm zu schicken, damit er sich gedulde.
    »Was denn?« fragte er sie von weitem. »Ist die Taufe nun heute oder morgen? – Glaubt ihr vielleicht, daß der liebe Gott sich nach euch richten muß?«
    »Das wird schon werden, Herr Pfarrer, das wird schon werden«, antwortete die alte Frau mit ihrer gelassenen Ruhe.
    Hilarion brachte gerade die letzten Fliesenscherben hinaus, und einen riesigen Stein vor seinem Bauch haltend, ging er vorüber. Er schaukelte auf seinen krummen Beinen, aber er knickte nicht ein, hatte die Festigkeit eines Felsens, eine Muskelkraft, daß er hätte einen Ochsen schleppen können. Aus seiner Hasenscharte floß Speichel, aber kein Tropfen Schweiß näßte seine harte Haut.
    Abbé Godard, der außer sich war über das Phlegma der Großen, fiel über sie her:
    »Hört mal, Große, da ich Euch gerade mal da habe, ist das etwa barmherzig von Euch, daß Ihr, die Ihr so reich seid, Euer einziges Enkelkind auf den Landstraßen betteln gehen laßt?«
    Derb versetzte sie:
    »Die Mutter war mir ungehorsam, das Kind ist mir nichts.«
    »Nun gut! Ich habe Euch genug gewarnt, und ich wiederhole es, Ihr kommt in die Hölle, wenn Ihr hartherzig seid ... Neulich wäre er verhungert, wenn ich ihm nicht was gegeben hätte, und heute habe ich mir Arbeit für ihn ausdenken müssen.«
    Beim Wort Hölle verzogen sich die Lippen der Großen zu einem dünnen Lächeln. Wie sie zu sagen pflegte, wußte sie nur zu genau, daß die Hölle hier auf Erden war, und zwar für die armen Leute. Aber der Anblick Hilarions, der die Fliesen trug, veranlaßte sie mehr zum Nachdenken als die Drohungen des Priesters. Sie war überrascht, sie hätte ihn niemals für so stark gehalten bei seinen Fiedelbogenbeinen.
    »Wenn er Arbeit haben will«, fuhr sie schließlich fort, »kann man vielleicht welche für ihn finden.«
    »Sein Platz ist bei Euch, nehmt ihn, Große!«
    »Wir werden ja sehen, soll er morgen kommen.«
    Hilarion, der das verstanden hatte, fing dermaßen an zu zittern, daß ihm draußen beinahe sein letztes Fliesenstück aus den Händen gefallen wäre und

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