Die Erde
er sich fast damit die Füße zerschmettert hätte. Und als er sich entfernte, warf er einen heimlichen Blick auf seine Großmutter, den Blick eines geprügelten, entsetzten und gehorsamen Tieres.
Noch eine halbe Stunde verstrich. Bécu, der das Läuten satt hatte, rauchte wieder seine Pfeife. Und stumm, unerschütterlich, blieb die Große da stehen, als sei mit ihrer Gegenwart der Höflichkeit Genüge getan, die man dem Pfarrer schuldete, während dieser immer mehr außer sich geriet und alle Augenblicke an die Kirchentür lief, um über den leeren Platz hinweg einen flammenden Blick auf Geierkopfs Haus zu werfen.
»Aber so läutet doch, Bécu!« schrie er auf einmal. »Wenn sie in drei Minuten nicht hier sind, mache ich mich aus dem Staube!«
Als das Läuten von neuem so ungestüm einsetzte, daß die hundertjährigen Raben krächzend aufflogen, sah man, wie Geierkopfs und ihre Leute einer nach dem andern herauskamen und den Platz überquerten. Lise war fassungslos, die Patin kam noch immer nicht. Man hatte sich entschlossen, schon langsam in die Kirche hinüberzugehen, in der Hoffnung, daß sie dann endlich käme. Es waren keine hundert Schritt; Abbé Godard fuhr sie sofort an:
»Hört mal, falls ihr euch über mich lustig machen wollt ... Ich mache das aus Gefälligkeit, und da warte ich nun schon eine Stunde ... Machen wir schnell, machen wir schnell!«
Und er schob sie zur Taufkapelle, die Mutter, die das Neugeborene trug, den Vater, Großvater Fouan, Onkel Delhomme, Tante Fanny, sogar Herrn Charles, der als Pate in seinem schwarzen Überrock sehr würdevoll aussah.
»Herr Pfarrer«, fragte Geierkopf mit übertriebener Demut, hinter der Bosheit hervorgrinste, »würden Sie die Güte haben, noch ein kleines bißchen zu warten?«
»Auf wen warten?«
»Auf die Patin, Herr Pfarrer.«
Abbé Godard wurde so rot, daß man einen Blutsturz befürchten konnte. Er rang nach Luft, er stammelte:
»Nehmt eine andere!«
Alle blickten einander an. Delhomme und Fanny schüttelten den Kopf, Fouan antwortete:
»Das geht nicht an, das wäre eine Dummheit.«
»Bitte tausendmal um Verzeihung, Herr Pfarrer«, sagte Herr Charles, der als Mann von guter Erziehung glaubte, die Dinge erläutern zu müssen. »Das ist unsere Schuld, ohne daß uns die Schuld trifft ... Meine Frau hatte mir ausdrücklich geschrieben, daß sie heute früh heimkommt. Sie ist in Chartres ...«
Der Abbé zuckte zusammen, war außer sich und verlor dieses Mal jedes Maß:
»In Chartres, in Chartres ... Es tut mir um Ihretwillen leid, Herr Charles, daß Sie sich mit so etwas befassen. Aber das kann nicht so weitergehen, nein, nein! Ich dulde das nicht länger ...« Und jetzt platzte er los. »Man weiß nicht mehr, welchen Schimpf man Gott in meiner Person antun soll; jedesmal, wenn ich nach Rognes komme, wird mir ein neuer Schlag ins Gesicht versetzt ... Nun gut, ich hab euch oft genug gedroht; heute gehe ich und komme nicht mehr wieder. Sagt das eurem Bürgermeister; sticht euch einen Pfarrer und bezahlt ihn, wenn ihr einen haben wollt ... Ich werde mit Monsignore sprechen, ich werde ihm erzählen, wer ihr seid, ich bin gewiß, er wird mein Vorgehen billigen ... Ja, wir werden sehen, wen die Strafe trifft. Ihr werdet ohne Priester leben wie das Vieh ...«
Sie hörten ihm neugierig und im Grunde völlig gleichgültig zu als praktische Leute, die seinen Gott des Zornes und der Strafe nicht mehr fürchteten. Wozu zittern und sich erniedrigen, Vergebung erkaufen, da die Vorstellung des Teufels sie zum Lachen brachte und sie aufgehört hatten zu glauben, Wind, Hagel und Donner lagen in den Händen eines rächenden Gottes? Das war bestimmt vertane Zeit, da war's schon besser, seinen Respekt vor den Gendarmen der Regierung zu behalten, die die Stärkeren waren.
Abbé Godard sah, daß sich bei Geierkopf Spott, bei der Großen Verachtung und selbst bei den Delhommes und bei Fouan Teilnahmslosigkeit hinter ihrem ehrerbietigen Ernst verbargen; und die Erkenntnis, daß dieses Volk ihm entglitt, machte den Bruch endgültig.
»Ich weiß sehr wohl, daß eure Kühe mehr Glauben haben als ihr ... Lebt wohl! Und tunkt euer Heidenkind in den Tümpel, um es zu taufen.«
Er lief in die Sakristei, riß sich sein Chorhemd vom Leibe, durchquerte wieder die Kirche und rannte in einem solchen Sturmschritt davon, daß die Taufgesellschaft, die er in größter Bestürzung zurückließ, nicht die Zeit hatte, noch ein Wort zu sagen, und Mund und Augen aufriß.
Und das
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