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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sanften und beflissenen Art fort, »denn die Uhr der Geschichte wird die Stunde deines Triumphes bald schlagen ...«
    Geierkopf hatte wie üblich jäh mit den Achseln gezuckt; schöne Sache, sich zu erheben! Ja, damit die Gendarmen einen verhaften! Alle lauschten übrigens, seit das Büchlein von den Aufstanden ihrer Vorfahren erzählte, mit gesenkten Augen, ohne sich zu rühren, von Mißtrauen erfaßt, obwohl sie unter sich waren. Das waren Dinge, über die man nicht laut reden durfte, niemand brauchte zu wissen, was sie darüber dachten. Jesus Christus hatte unterbrechen und schreien wollen, daß er beim nächsten Mal mehreren den Hals umdrehen werde. Bécu erklärte heftig, daß alle Republikaner Schweine seien; und Fouan, der als alter Mann ein Lied davon singen konnte, der aber nichts sagen wollte, mußte ihnen feierlich mit traurigem Ernst Schweigen gebieten. Die Große ließ, während sich die anderen Frauen naher für ihr Strickzeug zu interessieren schienen, das Sprichwort: »Was man hat, behält man!« fallen, ohne daß sich das auf das Vorgelesene zu beziehen schien. Allein Françoise, der ihre Arbeit auf ihre Knie gesunken war, schaute den Korporal an und war erstaunt darüber, daß er ohne Fehler und so lange lesen konnte.
    »Ach, mein Gott, ach, mein Gott!« wiederholte Rose und Seufzte noch lauter dabei.
    Aber das Buch änderte sich, es schlug einen anderen Ton an, es wurde lyrisch und feierte in Phrasen die Revolution. In der Apotheose von 1789, da triumphierte Jacques Bonhomme. Nach der Einnahme der Bastille hatte die Nacht zum 4. August36, während die Bauern die Schlösser niederbrannten, durch Anerkennung der Freiheit des Menschen und der Gleichheit des Staatsbürgers die Erwerbungen von Jahrhunderten gesetzlich bestätigt. »In einer Nacht war der Ackermann dem Grundherrn ebenbürtig geworden, der auf Grund von Adelsbriefen dessen Schweiß trank und die Frucht seiner Nachtarbeiten verschlang.« Abschaffung der Leibeigenschaft, aller Vorrechte des Adels, der kirchlichen und herrschaftlichen Gerichtsbarkeiten; Ablösung der früheren Gerechtsamen in Geld, Steuergleichheit; Zulassung aller Bürger zu allen zivilen und militärischen Ämtern. Und die Aufzählung ging weiter, die Übel dieses Lebens schienen eines nach dem anderen zu verschwinden, das war das Hosianna auf ein neues Goldenes Zeitalter, das sich auftat für den Ackermann, dem eine ganze Seite lobhudelte, indem sie ihn den König und den Ernährer der Welt nannte. Er allein galt, man mußte vor dem heiligen Pflug niederknien. Dann wurden die Schrecken von 1793 mit flammenden Worten gebrandmarkt, und das Buch stimmte ein übertriebenes Loblied auf Napoleon37 an, den Sohn der Revolution, der es verstanden hatte, »sie von der einmal betretenen Bahn der Zügellosigkeit abzubringen, um das Glück des flachen Landes zu stiften«.
    »Das, das stimmt!« gab Bécu von sich, während Jean die letzte Seite umblätterte.
    »Ja, das stimmt«, sagte Vater Fouan. »Es hat trotzdem gute Zeiten gegeben in meiner Jugend ... Ich, der ich zu euch rede, ich habe Napoleon einmal in Chartres gesehen. Ich war zwanzig Jahre alt ... Man war frei, man hatte die Erde, und das schien so gut zu sein! Ich entsinne mich, daß mein Vater eines Tages sagte, er säe Sous und er ernte Taler ... Dann haben wir Ludwig XVIII.38, Karl X.39, LouisPhilippe40 gehabt. Das ging immerhin, man hatte zu essen, man konnte sich nicht beklagen. Und heute ist nun Napoleon III. da, und bis zum letzten Jahr ging das noch nicht zu schlecht ... Bloß ...« Er wollte den Rest für sich behalten, aber die Worte entschlüpften ihm. »Bloß hat uns das was genützt, denen ihre Freiheit und denen ihre Gleichheit, Rose und mir? – Sind wir deshalb fetter, nachdem wir uns fünfzig Jahre lang geschunden haben?« Alsdann faßte er in ein paar langsamen und mühseligen Worten unbewußt diese ganze Geschichte zusammen: die Erde, die so lange für den Grundherrn bebaut worden war, unter dem Prügel des Herrn und in der Nacktheit des Sklaven, dem nichts gehört, nicht einmal seine Haut; die Erde, die mit seiner Mühe befruchtet, die während dieses heißen und innigen Zusammenlebens zu jeder Stunde leidenschaftlich geliebt und begehrt worden war wie die Frau eines anderen, die man hegt, die man umarmt und die man nicht besitzen kann; die Erde, die nach Jahrhunderten dieser Lüsternheitsmarter endlich erlangt, erworben, zu seinem Eigentum geworden war, sein Genuß, der einzige Quell seines Lebens. Und

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