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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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großer gelber Hahn blies auf der Mistgrube mit dem schmetternden Ton seines Clairons41 zum Wecken. Ein zweiter Hahn antwortete, dann ein dritter. Das Signal wurde wiederholt, entfernte sich von Gehöft zu Gehöft, von einem Ende der Beauce zum anderen.
    Diese Nacht hatte Hourdequin wie fast alle Nächte Jacqueline in ihrer Stube aufgesucht, in der kleinen Magdstube, die er ihr mit einer geblümten Tapete, mit Perkalvorhängen und mit Mahagonimöbeln hatte verschönern lassen. Trotz ihrer zunehmenden Macht war sie jedesmal auf heftige Ablehnung gestoßen, wenn sie versucht hatte, mit ihm gemeinsam die Stube der verstorbenen Frau zu bewohnen, die Ehestube, die er aus einer letzten Ehrfurcht heraus verteidigte. Sie war sehr gekränkt darüber, sie begriff sehr wohl, daß sie nicht die wirkliche Herrin war, solange sie nicht in dem mit rotem Kattun verhangenen alten Eichenbett schlief.
    Bei Tagesanbruch erwachte Jacqueline, und sie blieb mit weit offenen Lidern auf dem Rücken liegen, während neben ihr der Hofbesitzer noch schnarchte. Ihre schwarzen Augen träumten in dieser erregenden Wärme des Bettes, ein Erbeben schwellte ihren Schoß, den Schoß eines schlanken hübschen Mädchens. Sie zögerte jedoch; dann entschloß sie sich, stieg mit hochgerafftem Hemd über ihren Herrn hinweg, so leichtfüßig und so geschmeidig, daß er sie überhaupt nicht spürte; und geräuschlos streifte sie mit den Händen, die vor jähem Verlangen fieberten, einen Unterrock über. Aber sie stieß gegen einen Stuhl, nun öffnete auch er die Augen.
    »Was denn? Du ziehst dich an ... Wohin gehst du denn?«
    »Ich habe Angst um das Brot, ich gehe nachsehen.«
    Verwundert über den Vorwand stammelte Hourdequin etwas und schlief wieder ein; während er noch übermannt war vom Schlaf, arbeitete es dumpf in seinem Kopf. Was für ein schrulliger Einfall! Das Brot brauchte sie um diese Zeit nicht. Und unter dem scharfen Stachel eines Verdachts fuhr er aus dem Schlummer hoch. Da er sie nicht mehr sah, ließ er benommen seinen verschwommenen Blick in dieser Dienstmädchenstube umherwandern, in der seine Pantoffeln, seine Pfeife, sein Rasierzeug lagen. Wieder irgendein plötzlicher Brunstanfall dieser Hure für einen Knecht! Er brauchte zwei Minuten, bis er richtig zu sich kam, er überschaute seine ganze Geschichte.
    Sein Vater, Isidore Hourdequin, war der Abkömmling einer ehemaligen Bauernfamilie aus Cloyes, die im sechzehnten Jahrhundert ins Bürgertum aufgestiegen und feiner geworden war. Alle hatten Stellungen am Salzhof bekleidet: einer als Speicherverwalter in Chartres, ein anderer als Oberaufseher in Châteaudun; und Isidore, der frühzeitig Waise geworden war, besaß etwa sechzigtausend Francs, als er, mit sechsunddreißig Jahren durch die Revolution um seinen Posten gebracht, auf den Einfall kam, mit dem Diebesgut dieser räuberischen Republikaner, die den Nationalbesitz zum Verkauf stellten, sein Glück zu machen. Er kannte die Gegend vortrefflich, er witterte, berechnete, bezahlte dreißigtausend Francs – kaum ein Fünftel des wirklichen Wertes – für die hundertfünfzig Hektar von La Borderie, alles, was vom ehemaligen Gut der RognesBouquevals übriggeblieben war. Kein Bauer hatte gewagt, seine Taler aufs Spiel zu setzen; einzig und allein Bürger – Juristen und Geldleute – zogen Nutzen aus der revolutionären Maßnahme. Übrigens war das lediglich eine Spekulation, denn Isidore beabsichtigte durchaus nicht, sich ein Gehöft auf den Hals zu laden, sondern er wollte es zu seinem richtigen Preis weiterverkaufen, sobald die Wirren beendet wären, und auf diese Weise sein Geld verfünffachen. Aber das Direktorium42 kam, und die Entwertung des Grundbesitzes ging weiter: er konnte nicht mit dem erträumten Gewinn verkaufen. Seine Erde hielt ihn fest, er wurde ihr Gefangener, und zwar dermaßen, daß er, da er starrköpfig war und nichts von ihr fahrenlassen wollte, auf den Gedanken kam, sie selber zu bewirtschaften, weil er hoffte, dadurch endlich aus seinem Vermögen den erhofften Gewinn zu schlagen. Um diese Zeit heiratete er die Tochter eines benachbarten Hofbesitzers, die ihm fünfzig Hektar mit in die Ehe brachte; von da an hatte er zweihundert Hektar, und so geschah es, daß dieser Bürger, der vor drei Jahrhunderten aus dem Bauerngeschlecht hervorgegangen war, wieder zum Bauern wurde, aber zum Großbauern, zum Aristokraten des Bodens, der an die Stelle des früheren allmächtigen Feudalbesitzers trat.
    Alexandre Hourdequin,

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