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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zwischen den beiden Schwestern kam ihm nicht, oder wenigstens schob er sie in eine so ferne Zeit hinaus, daß er hoffte, bis dahin einen Dreh zu finden, um sich darum zu drücken. Françoises Anteil mitgerechnet, hatte er acht Arpents Ackerland, vier Arpents Wiese, ungefähr zwei und einen halben Arpent Weinberg; und er würde sie behalten, eher würde man ihm ein Glied ausreißen. Vor allem würde er niemals die Parzelle Les Cornailles rausrücken, die am Rande des Weges lag und nun fast drei Hektar umfaßte. Weder seine Schwester noch sein Bruder hatten einen ähnlichen Teil, er sprach mit aufgeblähten Backen davon und platzte dabei vor Stolz.
    Ein Jahr verstrich, und dieses erste Jahr des Besitzens wurde für Geierkopf ein Sinnengenuß. Als er sich bei anderen verdingt hatte, hatte er niemals die Erde so tief gepflügt und durchwühlt: sie war sein, er wollte in sie eindringen, sie bis in den Bauch befruchten. Abends kehrte er ausgepumpt heim mit seinem Pflug, dessen Schar wie Silber glänzte. Im März eggte er seinen Weizen, im April seinen Hafer, verwandte immer mehr Sorgfalt darauf und gab sich ganz hin. Als die Ackerstücke keine Arbeit mehr erforderten, ging er immer wieder zu ihnen, um sie sich anzusehen wie ein Verliebter. Er ging sie ab, bückte sich und nahm mit der ihm eigenen Art eine Handvoll, einen fetten Klumpen Erde, den er gern zerdrückte und zwischen seinen Fingern hindurchrinnen ließ, war besonders glücklich, wenn er fühlte, daß sie weder zu trocken noch zu feucht war und gut nach dem Brot roch, das auf ihr wuchs.
    So entrollte vor ihm die Beauce ihr Grün von November bis Juli, von dem Augenblick, da sich die grünen Spitzen zeigen, bis zu dem, da die hohen Halme gelb werden. Auch wenn er nicht aus dem Haus ging, wollte er die Erde unter seinen Augen haben, er hatte das verrammelte Küchenfenster frei gemacht, das hintere, das zur Ebene hinausging; und dort pflanzte er sich auf, er sah zehn Meilen Land, das riesige Tuch, das ausgebreitet und ganz leer unter der Rundung des Himmels dalag. Nicht ein Baum, nichts als die Telegrafenstangen an der Landstraße von Châteaudun nach Orleans, die sich schnurgerade dahinzogen, soweit das Auge reichte. Zunächst lag dicht über dem Boden, über den großen Vierecken brauner Erde, nur ein grünlicher, kaum wahrnehmbarer Schimmer. Dann hob sich dieses zarte Grün deutlicher hervor, Bahnen grünen Samtes von einer fast einförmigen Tönung. Dann wuchsen die Hälmchen empor und wurden dichter, jede Pflanze nahm ihre Schattierung an, er unterschied von weitem das Gelbgrün des Weizens, das Blaugrün des Hafers, das Graugrün des Roggens, Getreideschläge, die sich nach allen Richtungen bis ins Unendliche zwischen den scharlachroten Tafeln des Klees ausbreiteten. Das war die Zeit, da die Beauce schön ist in ihrer Jugend, so in Frühling gekleidet, glatt und frisch anzuschauen trotz ihrer Eintönigkeit. Die Halme wuchsen weiter, und es ward ein Meer daraus, ein wogendes, tiefes, grenzenloses Getreidemeer. Am Morgen flog bei schönem Wetter ein rosiger Nebel auf. Je höher die Sonne stieg in der kristallenen Luft, desto kräftiger wehte eine Brise in großen regelmäßigen Atemzügen und höhlte die Felder aus, eine Dünung, die vom Horizont ausging, sich hinzog und am anderen Ende erstarb. Ein Flackern ließ die Farbtönungen verblassen, das Schimmern alten Goldes lief über den Weizen, der Hafer erblaute, während der zitternde Roggen einen rotbläulichen Widerschein hatte. Ständig folgte eine Wellenbewegung auf die andere, die ewige Flut brandete unter dem Wind der hohen See. Wenn der Abend herabsank, wirkten ferne, grell beleuchtete Fassaden wie weiße Segel, auftauchende Kirchtürme pflanzten Masten hinter den Geländefalten auf. Es war kalt, die Finsternis vertiefte mit ihrer Feuchte und ihrem Rauschen das Gefühl, auf offenem Meere zu sein; ein ferner Wald zerrann, glich dem verlorenen Fleck eines Kontinents.
    Auch bei schlechtem Wetter betrachtete Geierkopf diese offene Beauce zu seinen Füßen, ebenso wie der Fischer von seinem Felsen die hohe See betrachtet, wo der Sturm ihm sein Brot stiehlt. Er sah dort ein heftiges Gewitter, ein schwarzes Gewölk, das die Beauce bleiern wirken ließ im fahlen Widerschein, rote, unter dem Krachen des Donners auf den Gräserspitzen brennende Blitze. Er sah eine Wasserhose mehr als sechs Meilen weit herkommen, zunächst ein rotgelbes Wölkchen, das wie ein Seil gedreht war, dann eine brüllende Masse, die im

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