Die Erdfresserin
aus den Augen, setze den Rucksack ab, nehme einen Schluck aus der Wasserflasche, denke nicht mehr an die Orte, von denen ich komme, noch an die, die zu erreichen sind. Denke an den leisen Tag, der mich mit stehender Hitze umgibt, an das Zirpen der Grillen am Wegesrand, fast so laut wie in Griechenland, denke an die griechischen Hunde, so frei wie ich, nicht so gebrochen wie der des Nachbarn, der durch Tritte und Leckerbissen leicht manipulierbar geworden ist, und hoffe auf die innige Umarmung, die ich, wenn ich die Steinschwelle des Hauses überschreite, ab und zu erhalte.
Ich bin müde, denke ich, ich bin müde und ich stelle mir die frischen Laken vor, die leicht knistern, wenn man sie anfasst, gestärkt von der Hand meiner Mutter, von meiner Schwester im Garten aufgehängt, von der Sonne gebleicht, reines Weiß auf meinem Körper, das abfärbt und reinigt und ihn wieder jung und stark macht. Kurzfristig.
Neben der Straße wachsen Disteln und Wiesenblumen. Ich pflücke Kornblumen, pflücke Klatschmohn, pflücke kleine gelbe Blüten, die wir als Kinder »die Hühnerblindheit« genannt haben, weil eine alte Bäuerin sich einen Spaß mit uns erlaubt und uns eingeredet hatte, die Farbe der Blätter würde die Vögel blenden. Erwachsene waren trügerisch und wir mieden die Pflanzen daraufhin sehr lange, man konnte ja nicht sicher sein, ob sie nicht auch Kinder blenden könnten. Der Strauß in meiner Hand nimmt ganz beachtliche Ausmaße an, er wird auf unserem Küchentisch gut aussehen, am Abend, wenn wir endlich alle zusammenkommen.
Nun ist es nicht mehr weit. Ich kann unseren hohen Zaun bereits sehen, die offenen Fensterläden, die Vorhänge sind vorgezogen, um das Dunkel nicht zu stören, und ich erahne durch den Vorhang den Umriss einer schmalen vornübergebeugten Figur am Fenster.
Der Wind bläst eine der Stoffbahnen zur Seite, ich sehe sie am Tisch sitzend, die Hände sind unaufhörlich in Bewegung. Ich sehe sie immer deutlicher, je näher ich komme. Sie sitzt allein da.
Meine Füße beschleunigen ganz von selbst. Ich spüre mein Herz mit beschleunigen. Was wohl mein Sohn macht, wie es ihm wohl geht …
Sie bricht die Erbsenschoten mit einer entschlossenen Bewegung auseinander, löst eine Erbse nach der anderen aus den grünen Strünken, die in einem Haufen auf dem Holztisch vor ihr aufgetürmt sind. Nimmt ein ums andere Mal die grünen kleinen Kugeln und legt sie in eine weiße Emailschüssel. Ihre Arme sind noch zerbrechlicher geworden, ich betrachte diese Arme, die mich gewiegt und geschlagen haben, und spüre ein schmerzendes Mitleid, mit ihren Verirrungen, mit der erbärmlichen, vergehenden Zeit, die wir nicht ändern werden können, mit ihrer Einsamkeit, die ausschließlich auf ihren Starrsinn zurückzuführen ist. Neben ihr ein großer Krug mit Wasser, aus dem sie ab und zu mit kleinen kontrollierten Schlucken trinkt. Ich sehe ihre Hände unaufhörlich im Fenster tanzen, die immer gleiche Bewegung ausführen, hinunter, auf die Seite, wieder hinab. Sie blickt auf. Ich winke.
*
Es ist immer noch heiß, und Leo leidet immer, wenn es heiß ist, er hat keine Klimaanlage, aber Durst und Schmerzen, ich habe zwei Ventilatoren um sein Bett aufgestellt, das macht den Tag erträglicher, obwohl er sich mit dem künstlichen Wind auf seinem verschwitzten Körper mit Sicherheit erkälten wird, er weiß es, weigert sich aber, diese leichtsinnig kurzfristige Erleichterung aufzugeben, er will nicht an die Nacht denken, die kühler sein wird, sondern sich jetzt retten können, Leo wird aggressiv, wenn die Temperaturen steigen, er jammert, er wirft sein Geschirr, er flucht, sein Gesicht wird noch röter und breiter, wenn er schreit, um sich gleich darauf unter Tränen zu entschuldigen, wenn ich mich dann wortlos in die Küche verzogen habe, ohne eine Reaktion, und dort das Radio laut aufdrehe, um seine Stimme nicht zu hören, das Splittern der Tassen und Untertassen, und Tee trinke, schwarzen starken Tee mit viel Zucker. Das hilft, wenn man die Hitze nicht verträgt, aber die meisten Europäer haben das immer noch nicht begriffen. Ich trinke meinen schwarzen süßen Tee und höre Radio Stephansdom, automatisch eingestellt auf Leos altem Radiogerät, noch von seiner Exfrau, er hat nichts verändert, Stephansdom in der Küche und Radio Antenne im Schlafzimmer. Leo brüllt. Ich drehe noch lauter auf. Kirchenchöre ergießen sich über mich, dringen in den Hof hinaus, übertönen die Geräusche vom Lokal gegenüber, das
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