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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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mit dem Einziehen neuer Stockwerke beginnen. Mit dem Einsetzen großer Penthousegläser. Dem Legen heller modischer Böden. Mit ihren idiotischen Terrassen.
    Zu meiner größten Zufriedenheit wurden die Bauarbeiten lange unterbrochen, als man einen riesigen steinzeitlichen Felsbrocken im Untergrund fand, einen zögerlichen Erdversuch, das Flache dieses Landes mit einem Bergmassiv zu durchbrechen, ein Versuch, der im Keim erstickte. Das Land und damit das spätere Warschau blieben flach, und der zukünftige Berg ruhte, ein Weisheitszahn, der sich nie wieder in Bewegung setzte, vom Erdfleisch sicher umhüllt, bis zu jenem Moment, als die Menschen mit ihren lächerlichen Buddelversuchen auf ihn stießen.
    Ich sah ihnen zu, wie sie aufgeregt umherliefen, durchaus vergleichbar mit den Ameisen, in deren Haufen ein großes Stück Brot oder ein alter Schuh gefallen war, im Versuch herauszufinden, ob der Fund von Wert war und die Aufregung lohnte.
    Schließlich wurde das Fossil gehoben, in zwei Teile zersägt und abtransportiert. Ich verließ die Stadt bald darauf und fuhr nach Hause, und als ich wesentlich später wiederkam, sprach keiner mehr von dem Stein.
    All diese Städte, die ich wieder und wieder aufsuchte, auf dem Weg zurück, auf dem Weg hin, sie alle veränderten sich während meiner Abwesenheit, nicht unmerklich, Stück für Stück, wie Menschen altern oder Blumen wachsen, sondern brutal wie ein Schlag ins Gesicht, und fast genauso unerwartet. Die alte Ordnung lag mit der neuen im Ringkampf, und die Menschen gerieten den beiden Giganten ständig unter die Füße und in die geballten Fäuste, man konnte aber keineswegs behaupten, die Menschen hätten ihnen auszuweichen versucht, bis auf ein paar wenige, die manchmal trotzdem in die Räder der widerstrebenden Maschinerien gerieten. Zwischen den stalinistischen hohen Prachtbauten, die mich immerzu an alte Sciencefiction erinnerten, an Metropolis, wie Fritz Lang es sich imaginierte, wuchsen Konsumtempel in die Breite, neben den ewigen Lichtern der Kriegerdenkmäler, an denen immer noch Soldaten mit dicken Mützen und geschultertem Gewehr standen, selbst steinern geworden zwischen den Steinsäulen und den Bronzeurnen, sprossen schiefe Bretterbuden, die Coca-Cola anboten. Die immer gleichen Logos der immer gleichen Global Players breiteten sich über Glas und Spiegel, ansteckend, laut, frech, im Bewusstsein ihrer Weltmacht, die anderen Weltmächte hatten ja zu existieren aufgehört. Die Menschen drängten sich mauloffen vor den glänzenden Auslagen, das Wasser lief ihnen im Mund zusammen, und der Blick trübte sich, nicht anders, als in der Tiefsee die kleinen Fische von den großen mit Licht in der Finsternis angelockt wurden, bis es zu spät war.
    Mir lag weder am alten System noch am neuen, denn beide hätten mir weder zu helfen, noch mir ernstlich zu schaden vermocht, solange meine Wege im Schatten lagen und meine Rückkehr leise genug vonstatten ging. Der Strom war früher leistbarer gewesen, genauso wie Ärzte, die zwar gut gebildet waren, aber zu wenig Handhabe gegen die Gründe des Arztbesuches besaßen. Das Leben war nun teurer, aber dafür verdiente ich sogar jetzt noch mit einer Woche Prag, mit drei Tagen in Wien mehr, als ich früher in einem Monat zu Hause verdient hätte. Ich denke wieder daran, dass es Zeit wäre, heimzukehren. Eigentlich wäre es an der Zeit. Ich erinnere mich unwillig an die letzten Wiedersehen.
    *
    Meines Vaters Haus, kühl im Sommer, dunkel, voller Schatten, während draußen die Sonne brannte und die Feldfrüchte ihrer Reife entgegenwuchsen, das Gras auf den Feldern verdorrte, bis es gelblich und trocken war wie in der Savanne. Der staubige Weg, der zum Haus meines Vaters führte, den ich immer wieder beschritt, an seiner statt, halb so dringlich erwartet, aber mindestens doppelt so gebraucht wie er.
    Der Hund des Nachbarn ist tot. Keiner holt mich bereits auf halbem Weg von der Bushaltestelle, um mich freudig zu begrüßen, wenn ich, beladen mit fremden Gütern, als kleiner Karawanenrest des großen Zuges in den Westen wiederkehre, und ich hebe die Knochen meiner letzten Mahlzeiten für niemanden mehr auf.
    Meine Knochen bringe ich mit, meine Haut, mein Sehnen, und ein wenig Geld, und sie nehmen es und danken ab und zu und stoßen mich unter Vorwürfen über meine Unbeständigkeit wieder zur Tür hinaus, denn es ist nie genug, um bleiben zu können, und ich will auch nie genug mithaben, um zu bleiben.
    Ich wische mir den Schweiß

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