Die Erfinder des guten Geschmacks
Restaurant El Bulli mit Aussicht auf den Badestrand von Cala Montjoi. Die sechs anderen Monate saß er in seinem »Labor« in Barcelona und forschte oder probierte neue Gerichte aus. Alle Restaurantführer dekorierten ihn dafür mit Höchstwertungen. Auf der documenta 2007 war er Ehrengast, als erster Künstler unter den Köchen.
Doch seine Gerichte gelangen nur mit etlichen Lebensmittelzusatzstoffen, die er prompt als eigene Produktlinie namens »Texturas« vermarktete. »Adrià hat die Lebensmittelchemie salonfähig gemacht«, meinte der Spitzenkoch Eckart Witzigmann dazu im Januar 2011.
Es war, gewissermaßen, die Einlösung der Forderung Marinettis und der Bruch des letzten Tabus. Zusatzstoffe waren die Domäne der Industrie. Bessere Köche schwörten jeden Eid darauf, sie nicht zu verwenden. Geschmacksverstärker, gekörnteBrühe und ein Produkt namens »Küchengold« existierten in Häusern der bürgerlichen Mittelklasse, nicht aber in der Haute Cuisine.
Fachjournalisten umschrieben die Additive vorsichtig mit dem Wort »Algenextrakte«. Tatsächlich werden für manche Zusatzstoffe für den Menschen ungenießbare Algensorten stunden- oder tagelang in Säure eingelegt.
Ein akademisches Feigenblatt für diese Praktiken erhielt Ferran Adrià im Jahr 2007, als ihm die Universität Barcelona den Titel eines »Doktor honoris causa« verlieh. Professor Claudi Mans kommentierte die Ehrung: »Eine Laudatio wie diese […] ist sicherlich untypisch. Der größte Teil der Ehrendoktorwürden wird an Wissenschaftlerkollegen für wissenschaftliche Arbeiten vergeben […] was heute offensichtlich nicht der Fall ist.«
Die Gourmetpresse wertete diesen Schritt als Zeichen, dass die Experimente des Kochs sozusagen offiziell durch den akademischen Betrieb anerkannt worden waren.
In diversen Medien wird Adrià zuweilen als »Doktor der Chemie« beschrieben. Das ist unzutreffend, denn wie die meisten Universitäten vergibt auch die Universität Barcelona Ehrendoktortitel ohne Angabe der Fakultät.
Ebenfalls im Jahr 2007 sollte Küchenchef Adrià die documenta in Kassel mit seiner Anwesenheit beehren. Allein die Ankündigung, ein Koch sei Teilnehmer dieser weltweit geachteten Kunstausstellung, generierte für das El Bulli Tausende von lobenden Presseartikeln und Blog-Einträgen. Nicht nur in Food-Magazinen, auch im Feuilleton der Tagespresse und in Kunstmagazinen wurde über Adrià berichtet. Kann ein Koch ein Künstler sein?
Die Veranstaltung wurde in der Presse groß angekündigt: »Ich glaube, dass viele Zuschauer, nachdem sie meinen Beitragerlebt haben, nachdenken werden«, sagte Adrià dem deutschen Manager Magazin . Tatsächlich kam Adrià nie nach Kassel, stattdessen spendierte er jeden Tag einen Zweier-Tisch in seinem Lokal in Rosas. Der Journalist Ullrich Fichtner kommentierte die künstlerische Performance folgendermaßen:
»Nach Monaten des Raunens und Spekulierens darüber, ob und warum und wie Adrià zur documenta in Kassel eingeladen wird, nach ellenlangen, ermüdenden Feuilletons zum Thema Kochen und Kunst, wurde nun bekannt gegeben, worin Adriàs großartiger Beitrag zur großartigen Kunstschau besteht: Er wird in seinem Restaurant El Bulli kochen. Wie bitte? Das macht er doch sowieso immer? Nein, nein, sagen sie bei der documenta, es ist ganz anders, nämlich so: ›Die Form, die Ferran Adrià fand, um die kulinarische Welt der avantgardistischen Küche mit der Welt der Kunst zu verbinden, besteht darin, dass sein Restaurant El Bulli kurzerhand zum Ausstellungsort von documenta 12 wird.‹ Tja, da staunt der Laie. So einfach ist es, bei der documenta mitzumischen. Das ist Verarschung? Könnte man so sagen. Aber eleganter wär’s, Ferran Adrià endlich als das zu betiteln, was er ja auch von Berufs wegen schon lange ist: ein Schaumschläger, ein genialer.«
International wurde über den Rückzug des Kochs aus der Kunstausstellung kaum berichtet. In Erinnerung blieb, dass Ferran Adrià der erste Koch unter den Künstlern gewesen ist.
E IN R EZEPT AUS F ERRAN A DRIÀS Z USATZSTOFFKATALOG » T EXTURAS«
Olivenölspirale
Zutaten für vier Personen
100 g E 953
25 g Glukose
1,5 g E 473
45 g Olivenöl extra vergine
1,5 g E 475
E 953 mit Glukose und E 473 mischen und auf 160 °C erhitzen. Während das Karamell erhitzt wird, E 475 in 50 °C warmem Olivenöl auflösen. Wenn das Karamell auf 160 °C ist, das Öl hinzugeben und mit einem Spachtel mischen. Wenn das Karamell das ganze Öl aufgenommen hat, auf
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