Die Erfinder des guten Geschmacks
Backpapier ausrollen. Mit diesem Karamell kann man viele Formen machen, darunter die Olivenölspirale.
(Anmerkung: Dazu wird eine Bohrmaschine mit rundem Aufsatz verwendet.)
E 953 ist ein Polyol. Nach geltendem Recht müssen Lebensmittel mit mehr als 10 Prozent Polyolen im Handel mit dem Satz »kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken« gekennzeichnet werden.
Der »kochende Künstler« war zeitweise auch Erfinder, der für sich in Anspruch nimmt, eine Technik der Außengelierung,die sogenannte »Sphärifikation«, erfunden zu haben. Immerhin stammt der Name von Adrià, die entsprechende Technik jedoch ist jahrzehntealt und wurde von verschiedensten Forschern und Konzernen bis in kleinste Details patentiert. Auch die New York Times stellt 2003 die Genese dieser neuen Spezialität etwas anders dar: »Adrià kam mit dem Konzept der ›flüssigen Ravioli‹ und des ›flüssigen Kaviars‹ im März, nachdem er ein beliebtes asiatisches Getränk mit Tapioka-Perlen probiert hatte.« Dieses Getränk ist mittlerweile bei uns als »Bubble Tea« bekannt. In Asien wird es nicht nur mit Tapioka, sondern auch mit »popping Bobas« aus Wasser, Zucker, Fruchtsaft, Kalziumlaktat (E 327), Carrageen (E 407a), Apfelsäure (E 296), Aroma, Farbstoff und Kaliumsorbat (E 202) in beliebigen Geschmacksrichtungen hergestellt. Ein Kübel von drei Kilogramm kostet im Internetversand weniger als 23 Dollar.
In Spanien, jedoch auch in Deutschland und England fand diese neue Art zu kochen zügig Nachahmer, angezogen vom Prestige des Kochs, der auf einmal Ehrendoktor, Erfinder und Künstler zugleich war.
Zu den »Verfolgern« zählte Joan Roca (*1964) vom El Celler de Can Roca in Girona. Das Can Roca war ursprünglich ein Café von der Sorte, in dem Lkw-Fahrer morgens den kleinen Schwarzen schlürfen. Weit entfernt von der historischen Altstadt von Girona, verloren in einem Arbeiterviertel, wo Bettwäsche weithin sichtbar auf den Hausdächern trocknet. Mittags bewirteten die Rocas ihre Nachbarschaft mit Grillhuhn, geschmortem Kaninchen oder einem Reisgericht, während hinter dem Haus die drei Jungs Joan, Josep und Jordi spielten.
Josep reifte zu einem Sommelier, der gleich drei Weinkarten verwaltet, die im Holzgestell zum Gast chauffiert werden. Und Jordi wurde Patissier. Das erste Lokal der Brüder war der Anbau des elterlichen Cafés mit Blick auf das Schwimmbecken, in dem die drei als Kinder gespielt hatten. Die Gäste kamen für Gerichte wie Venusmuscheln mit Süßkartoffeln und Bergamotte-Mousseline; der Kartoffelbrei mit winzigen, aber aromatischen Stücken vom Calamar oder Reis mit Langustinos, Hahnenkämmen und Comté-Käse entstammen direkt dem katalanischen Repertoire. »Die Mischung von Fisch und Fleisch, von süß und sauer gibt es bei uns seit jeher«, erfuhr ich bei meinem ersten Besuch. »Früher trafen sich am Donnerstag im Hinterland die Fischer mit den Jägern: Dann gab es zum Beispiel Reis mit Seeigeln und etwas Wurst oder Wachtelbrust.« Bruder Josep, der Sommelier, brachte dazu neben spanischen Weinen auch gern deutsche Gewächse an den Tisch, etwa vom Weingut Dr. Bürklin-Wolf, Ökonomierat Rebholz, Grans-Fassian, Fritz Haag oder Heymann-Löwenstein.
Inzwischen gibt es ein neueres, »moderneres« Lokal. Joan Roca rühmt einen Apparat namens Rotavapor. Ein solcher Rotationsverdampfer wurde schon 1957 vom Schweizer Unternehmen Büchi an Labore verkauft, in denen er meist zur Verdampfung von Lösungsmitteln wie Aceton, Benzol oder Chloroform genutzt wurde. Die für die Küche abgespeckte Version namens Rotaval (die nicht von Büchi stammt) gewinnt konzentrierte Aromen aus »feuchten« Zutaten. Und Jordi Roca, der Patissier, sitzt im Chef’s Council , dem »Rat der Köche« des weltgrößten Aromenfabrikanten Givaudan.
Adriàs Schüler und Imitatoren, die weiterhin ohne Ehrendoktortitel kochen mussten, wurden durch die Behauptung, dass all die neuen Gerichte einem »neuen Zweig der Wissenschaft«, der »Molekulargastronomie«, entstammten, ebenfalls akademisch legitimiert. Ersonnen hatte diesen neuen Zweig der französische Chemiker Hervé This Ende der Achtzigerjahre –zwei Jährchen nach dem Euro-Toques-Manifest. This betrachtet die Molekulargastronomie als Wissenschaftszweig, der sich mit den biochemischen und physikalisch-chemischen Prozessen bei der Zubereitung und beim Genuss von Speisen und Getränken befasst.
In angelsächsischen Ländern kennt man seit Langem den Food Scientist : »Food Science [also
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