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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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Sprays: Duft von Austern, Seeigeln, Waldpilzen, Zitronen oder gar Gin-Tonic, Tonka-Bohnen und Tabak, jederzeit ohne teure Zutaten verfügbar, einfach mit einem Druck des Zeigefingers. Mediziner warnen allerdings: »Aromen sind kein Spielzeug. In simplem Basilikumaroma stecken meist die krebserregenden Stoffe Eugenol und Methyleugenol.« Ob eine Gefährdung vorliegt, hänge von der Dosierung ab. Die aber ist Betriebsgeheimnis des Kochs. Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) wundert sich über den neuen Aromenzauber: »Zwar ist eine europäische Richtlinie hinsichtlich Aromen anhängig, bislang aber gilt deutsches Recht. Das erlaubt Aromen wie Veilchen und Pilze […] Aromen sind häufig nur für bestimmte Lebensmittel zugelassen.« Hersteller verschweigen das gern und empfehlen lieberdas Einsprühen von Tellern und Nahrungsmitteln für optimale Effekte. Je nach Fabrikant kostet eine Aromendosis den Koch bis zu acht Cent.
    Aromenfabrikanten stellen sich gern auf regionale Vorlieben ein: Speck wird in Deutschland gern zu »Speckschaum« oder »Speckluft« verfremdet. Der Zusatzstoff-Vertrieb Biozoon aus Bremerhaven empfiehlt im Internet: »Die Herstellung der Speck-Luft gelingt am schnellsten und einfachsten, wenn Sie das Speckpulver der Firma Raps aus dem Biozoon Air-Set verwenden. Einfach einen kleinen Dosierlöffel in Wasser auflösen, fertig ist der Speck-Fond!« Raps-Speckpulver besteht aus Speisesalz, Maltodextrin, (Rauch-)Aroma, Kartoffelstärke und E 551.
    Gästen werden solche Informationen über die Zusammensetzung dieser Gerichte auch auf Anfrage eher nicht mitgeteilt. Die Köche, auf deren »Kunst« sie vertrauen, sind also keinesfalls ehrlicher als die viel geschmähte Lebensmittelindustrie. Sie werden allerdings wesentlich besser vermarktet und systematisch zu Ikonen der Kochkunst aufgebaut.
Das Zeitalter der Kommunikation: Kreationen für Millionen
    Der nordische Ministerrat, dem Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden sowie die Färöer, Grönland und Åland angehören, beschloss ein Programm namens Ny nordisk mad , das »nordische Esskultur und Gastronomie sowie die Tourismusbranche« fördern soll. Dafür gab es zunächst drei Millionen Euro Steuergeld. Im Jahr 2010 wurde das Programm bis 2014 verlängert, weitere zwei Millionen Euro wurden bewilligt.
    Ny nordisk mad heißt abgekürzt »Noma«, genau wie dasRestaurant, in dem René Redzepi kocht. Dies ist kein Zufall: »Geistiger Vater« des Programms ist der Unternehmer Claus Meyer, der Ende der Neunzigerjahre Mitglied eines Ausschusses zur Verbesserung der Lebensmittelqualität wurde. Im November 2000 ernannte ihn der Minister für Ernährung zum Präsidenten des Rats für bessere Lebensmittelqualität. Dieser Rat wurde nach einem Regierungswechsel zwei Jahre später abgeschafft. Dann, 2004, verfasste Meyer ein Manifest der nordischen Küche, das sich wie eine Ode an pure, regionale, frische Zutaten liest.
    Meyer leitet zusammen mit Professor Thorvald Petersen eine Arbeitsgruppe Molekulargastronomie und sitzt seit 2006 als Mitglied der Lenkungsgruppe im Nordischen Ministerrat, jenem Gremium, das die nordische Küche mit fünf Millionen Euro Steuergeld förderte.
    Allein Schweden bewilligte 2010 rund fünf Millionen Euro Steuergeld, um das Land »zur neuen kulinarischen Nation Europas« zu machen. »Mindestens 10   000 neue Arbeitsplätze, eine Verdoppelung des Exports von Lebensmitteln« und mehr Tourismus in ländlichen Gebieten verspricht sich der schwedische Staat laut einer offiziellen Mitteilung von seinem Millionenprogramm.
    Ursprünglich ist der »kulinarische Tourismus« eine Erfindung von Werbeagenturen, die einem simplen Gedanken folgt: Unabhängig von Sonnenschein oder Schnee könnten Urlaubsziele ganzjährig besucht werden. Restaurants, Märkte und Feinkostläden bieten schließlich Unterhaltung für Feinschmecker, finanzkräftige Power-Esser sollten die Monate mit eher lauem Geschäft überbrücken helfen.
    Inzwischen kann man »kulinarischen Tourismus« und die damit verbundenen Moden sozusagen »schlüsselfertig« ordern: etwa bei Claus Meyer, dem Vater der neuen nordischen Küche. Sein Strategie-Papier für eine New Caribbean Cuisine , dieTrinidad und Tobago angeboten wurde, verrät, wie es geht: Am Anfang steht ein Workshop, an dem natürlich auch Vertreter der Lebensmittelindustrie und des Gesundheitsministeriums teilnehmen. Anschließend arbeiten führende Küchenchefs aus Trinidad

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