Die Erfinder des guten Geschmacks
und Tobago das Manifest der karibischen Küche aus, über das mit »Politikern, Gastronomen, Meinungsführern« sowie der Lebensmittelindustrie diskutiert wird. Solche Manifeste liefern einfache Botschaften mit simplen, positiv besetzten Schlüsselworten wie »frisch«, »regional«, »kreativ«, »avantgardistisch« und »traditionell«, zusammengestellt in beliebiger Kombination. Für Events und Pressearbeit werden Sponsoren benötigt. Meyer schlägt auf seiner Internetseite dazu unter anderem das jeweilige Landwirtschaftsministerium, das Gesundheitsministerium, das Wirtschaftsministerium sowie lokale Hotels und Restaurants vor.
Die Kommunikation mit den »Akteuren der relevanten Medien«, so ist dort zu lesen, wird hervorragend gemeistert. Meyers Konzept ist ein Erfolgsrezept: Wer auch immer heute über die neue nordische Küche redet, erwähnt auch sein Restaurant Noma. Unter den Lobpreisungen der nordischen Küchenmode finden sich echte Perlen: Das einflussreiche Time Magazine erklärt 2013, Noma hätte die gesamte Wirtschaft Dänemarks verändert. Wie das genau geschehen sein soll, bleibt jedoch im Unklaren. Im Restaurant selbst werden nur 20 000 Menschen bewirtet. Und wer einen dänischen Supermarkt betritt, wird feststellen, dass sich genau wie in Deutschland und Frankreich nicht eine ganze Nation permanent ausschließlich von den versprochenen »frischen, lokalen Produkten« ernährt. Touristisch geht es in Dänemark dennoch laut Time angeblich steil bergauf, allein in Kopenhagen. Noma hätte, heißt es, den regionalen Käsehändlern, Brauereien, Austernfischern und Bauern ungemein geholfen.
Wie kurios also, dass zum selben Zeitpunkt mehr als halb Europa mit Wirtschafts- und Schuldenkrisen kämpft, wo die Lösung aller Wirtschaftsprobleme doch so einfach ist: Spitzenlokale eröffnen und groß in die Medien bringen. Time vergleicht Dänemark mit Spanien, wo die Lage noch besser scheint: Die dortige Molekularküche, heißt es sinngemäß, »betrifft nicht nur Top-Restaurants, sondern baute und formte ganze Industrien quer durch Spanien und veränderte schließlich die Art und Weise, wie eine ganze Nation speist«.
Starköche sehen das offenbar ganz ähnlich: Im September 2011 trafen sich neun von ihnen, darunter Ferran Adrià und Noma-Koch René Redzepi, zum »G9-Treffen der Köche« im peruanischen Lima, wo sie die »Lima Declaration« verabschiedeten: »Durch unsere Küche, unsere Ethik, unsere Ästhetik können wir zur Kultur und zur Identität eines Volkes, einer Region, eines Landes beitragen. Wir können auch als eine wichtige Brücke zu anderen Kulturen dienen.« Und weiter: »Wir üben einen Beruf aus, der die Macht hat, die sozioökonomische Entwicklung anderer zu beeinflussen. Wir können erheblichen wirtschaftlichen Einfluss durch die Förderung des Exports unserer eigenen kulinarischen Kultur ausüben.«
Tatsächlich ist Spanien das erste Land, das die neuen kommunikativen Strategien in Sachen Küche konsequent anwandte. Starkoch Ferran Adrià brachte Spanien zudem jede Menge Presse. Auch hier gab es ein kulinarisches Manifest oder vielmehr gleich mehrere davon. Eines stammt von Adrià selbst. Unter Punkt 23 huldigt er einem Vorbild: »Insbesondere die Zusammenarbeit mit der Lebensmittelindustrie und der wissenschaftlichen Welt hat fundamentale Fortschritte gebracht.« Adrià wirbt seit 2009 als Markenbotschafter für Spanien. Das damalige Budget für die Förderung des kulinarischen Tourismus lag bei neun Millionen Euro. Im Jahr 2008 bewilligte der spanische Staat zudem eine Subvention von sieben Millionen Euro für das Basque Culinary Center in San Sebastián. Partner des Zentrums ist Azti-Tecnalia, nach eigenen Angaben »Referenzzentrum der Food-Industrie« und Betreiber einer Zusatzstoff-Datenbank für Köche.
Gelehrt wird im Culinary Center nicht etwa Kochen, das wäre zu banal, es geht um den Einsatz von Additiven, den »kreativen Prozess im Restaurant«, das freie Reden in der Öffentlichkeit sowie Techniken der Lebensmittelindustrie und ihr Einsatz im Restaurant. Gelegentlich sind Kurse zum Thema Aromen angesetzt. Gemeint sind jene Aromen, die in unseren Fertiggerichten stecken und gerade jetzt ihren Weg in die Restaurantküchen finden.
Das Problem: Die entsprechenden Finanzmittel und der Medienzirkus nutzen letztendlich nicht der Branche, sondern primär einer Ikone. In Spanien heißt sie Adrià, in Dänemark Redzepi.
Sechs Millionen Besucher hätte der Hype um die
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