Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
Vom Netzwerk:
als Wissenschaftler auf die Macht der Fakten zu vertrauen. Denn heutige Esser reagieren eher auf ausgeklügelte Kommunikationsmaßnahmen.
    Bei Ferran Adrià lernte ein Herr namens René Redzepi. Dessen Gerichte sollen betont natürlich wirken, fast als wären Gemüse und Früchte gerade geerntet worden. Versprochen werden beste, lokale Naturprodukte aus Dänemark. Dieses Bekenntnis zur Natürlichkeit hält Redzepi laut seinem eigenen Kochbuch Noma indes nicht immer davon ab, auf andereHilfsmittel zurückzugreifen. Den Zuckeraustauschstoff Isomalt etwa oder Maltodextrin, der Weight Gainer der Bodybuilder. Neben Lebensmittelzusatzstoffen wie E 415 und E 418 wird auch Instant Food Thickener verkocht. Dieses neue Wundermittel der Avantgardeküche ist sonst eher in Kollektivküchen der Krankenhäuser bekannt, laut Herstellern ist es »ideal für Patienten mit Dysphagie (Schluckstörungen)«. Seltene Gotland-Trüffeln aus dem Norden aromatisiert Redzepi mit Trüffelöl, das bekanntlich gar keine Trüffeln enthält, dafür aber Bis(methylthio)methan oder 2,4-Diapenthan.
    Der studierte Neurologe Dr. Miguel Sanchez Romera ist ein moderner Koch, der auf Zutaten aus der Chemie- und Aromenindustrie systematisch verzichtet.
    Redzepis Spezialität mit dem Namen »Snowman« sieht tatsächlich aus wie ein Schneemann mit einer Nase aus einer Möhre. Verwendet werden aber, verrät Redzepi in seinem Buch Noma , weder Schnee noch Eis, sondern:
    »1,16 Kilogramm Karottensaft, 600 Gramm Karotten, 392 Gramm Wasser, 312 Gramm Sirup (50 Prozent Wasser, 50 Prozent Zucker), 185 Gramm Zucker, 101,5 Gramm Maltodextrin,70 Gramm Sanddornsaft, 1,5 Gramm Zitronensäure, 4 Gramm Apfel-Balsamico-Essig, 87 Gramm Eiweiß, 51,5 Gramm Eiweißpulver, 4 Gramm Sorbet-Stabilisator, 62 Gramm Zitronensaft, 6 Blatt Gelatine, 250 Gramm Buttermilch, 250 Gramm Joghurt, 5 Gramm Apfelessig, 8 Gramm Weißweinessig, Zitronensaft, Patisserie-Zucker, 375 Gramm Schafskäse-Joghurt, 225 Gramm Kuhmilch-Joghurt, 4 kleine Karotten.«
    Solche Gerichte sind zwar komplex und verursachen sicher extrem viel Arbeit in der Küche. Sie sind in den meisten Fällen jedoch, genau wie die visuell spektakulären Molekulargerichte, sehr günstig zu realisieren. Karotten nebst Saft, Joghurt und Buttermilch schlagen bestimmt kein Loch ins Einkaufsbudget.
    Früher wurde der Menüpreis in besseren Lokalen durch den Preis der Zutaten bestimmt. Inzwischen behauptet ein Teil der Gastronomiekritik, derart solides Rechnen sei hoffnungslos veraltet, der Preis würde für die intellektuelle Leistung des Koches bezahlt. Angenommen, es würde sich um eine eigene intellektuelle Leistung handeln, die nicht von der EU, der Aromenindustrie oder Additivherstellern bezahlt wurde, dann wäre diese, geht man von der »Lebensdauer« der Speisekarte und der Anzahl der bewirteten Gäste aus, weit kostspieliger als die intellektuellen Leistungen von Chefärzten oder Anwälten, die sich obendrein mit jedem einzelnen Fall individuell befassen müssen.
    Recht günstig sind auch die »falschen weißen Trüffel« des Spaniers Quique Dacosta. Dazu braucht er: 300 Gramm Parmesan, 500 Gramm Sojamilch, 1 Blatt Gelatine, 25 Gramm fein geriebene weiße Trüffel, 1 Kilogramm Steinpilze, Morcheln, Totentrompeten, ein »Karamellisierungs-Bad« aus 800 Gramm Mannit, 2 Gramm Goldstaub und 0,2 Gramm Bronzepuder sowie »flüssigen Stickstoff in einem hohen Behälter« und synthetisches Trüffelöl.
    »Falsche weiße Trüffel« sind demnach erheblich günstiger als echte Trüffel, deren Kilopreis sich bei 4000 Euro bewegt. Eine Sparmaßnahme, die als »intellektuelle Leistung« verkauft wird. »Molekular-Erfinder« Hervé This wies übrigens schon 2005 darauf hin, dass sich Additive, Farbstoffe und Aromen aus wirtschaftlichen Gründen in Profiküchen durchsetzen müssten.
    Damit Kunst-Köche weiter für Schlagzeilen sorgen, braucht es permanente Neuheiten – aus den Laboren der Aromenindustrie. Givaudan, ein Schweizer Parfüm- und Aromenmulti mit 3,3 Milliarden Euro Jahresumsatz, lädt zu diesem Zweck namhafte Drei-Sterne-Köche wie den Spanier Joan Roca im Rahmen seines Chef’s Council zum Spielen mit Laboraromen ein und veranstaltet Kochwettbewerbe rund um diese Substanzen.
    Inzwischen wird in manchen Lokalen sogar Butteraroma statt echter Butter eingesetzt. Und beim Butteraroma bleibt es nicht. Spezialisierte Fachhändler bieten der Gastronomie Hundertschaften an Aromaverbindungen von Unternehmen wie Soripa und Sosa als

Weitere Kostenlose Bücher