Die Erfinder des guten Geschmacks
Entwicklung.
Die Zeitung L’Echo du Tiaret lobte am Sonntag, den 15. Februar 1914, seine »Menüs von angenehmer Fantasie« und zitierte den Koch: »Nichts ist delikater als Hammelfilet in Krebsjus, Austernomelett, Kalbsnüsschen mit Absinth, Rind mit Kümmel, begleitet von mit Gruyère-Käse gefüllten Bananen, ein Heringspüree mit Himbeergelee, ein Sardinenpüree mit Camembert, eine Tomatensahne.«
Zumindest einer seiner Gäste war davon nicht überzeugt: »Wahrscheinlich haben der bescheidene Eintopf und das klassische Hammelragout noch viele Tage vor sich«, meinte der Autor des Beitrages.
Neben diesen Gerichten und seiner Zuneigung zur chemischen Industrie wissen wir wenig über Jules Maincave. Er war Feldkoch im Ersten Weltkrieg, würzte an der Front Hacksteaks mit Schnaps und Käsepüree mit Wein. Maincave starb am 20. Dezember 1916 während der Schlacht an der Somme.
Der Avantgardist machte keine Schule, seine Ideen gerieten schnell in Vergessenheit. Le Figaro und die New York Times widmeten ihm einen kleinen Nachruf – im Jahr 1921, fünf Jahre nach seinem Tod.
Die Namen seiner Rezepte wurden auch mehr als ein Jahrzehnt noch als Kuriosum publiziert, etwa in der Wochenzeitung L’Afrique du Nord illustrée vom 18 Juni 1927. Maincave habe »Rezepte, die ein leichtes Frösteln verursachen«, heißt es da. Der Text ist im Präsens gehalten, die Leser werden geglaubt haben, Maincave weile noch unter den Lebenden.
Maincave war ein französisches Äquivalent des Italieners Filippo Tommaso Marinetti (1876-1944). Marinetti hingegen übte nicht den Beruf des Kochs aus, er war Dichter, Autor und Politiker. Er glaubte, dass die Vergangenheit nicht beim Aufbau der Zukunft helfen könne, zumal er schon einen Mann kannte, der diese Zukunft symbolisierte: Benito Mussolini.
Der Wegbereiter der Avantgardeküche gehört zu den 119 Menschen, die am Tag der Gründung der Fasci Italiani di Combattimento (»Bünde der Italienischen Kämpfer«) präsent waren, unterstützte das faschistische Regime nach Kräften, kämpfte im Ersten Weltkrieg und meldete sich 1942, im Alter von 66 Jahren, nochmals freiwillig zum Kampfeinsatz. Sein bekanntestes Werk bleibt das Futuristische Manifest , das im Jahr 1909 in Le Figaro veröffentlicht wurde. Dessen Wortwahl ist martialisch:
»7. Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muss aufgefasst werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor dem Menschen zu beugen.
8. Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! […] Warum sollten wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufbrechen wollen? Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen.
9. Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.
10. Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und gegen jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmäßigkeit und Eigennutz beruht.«
Nach diesem Lob auf den Krieg plante Marinetti im November 1930 auch die Zerstörung italienischer Esskultur und verkündete sie per Radio:
»Ich kündige euch die nächste Manifestation der futuristischen Küche zur völligen Erneuerung des italienischen Ernährungssystems an; damit soll so schnell wie möglich die Notwendigkeit ausgedrückt werden, der Rasse neue heroische und dynamische Kräfte einzuflößen. Die futuristische Küche wird von der alten Besessenheit durch Volumen und Gewicht befreit sein; einer ihrer Grundsätze wird die Abschaffung der Pasta asciutta sein. Die Pasta asciutta, so angenehm sie auch für denGaumen sein mag, ist ein passatistisches Gericht, weil sie schwer macht, vertiert, über ihren Nährwert täuscht, weil sie skeptisch, langsam, pessimistisch stimmt. Der Patriot bevorzugt stattdessen den Reis.«
Es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Die Industrieproduktion in Italien war um ein Drittel zurückgegangen, Hunger und Entbehrungen gehörten für viele Menschen in der gesamten westlichen Welt zum Alltag. Hochkonjunktur verzeichneten nur Suppenküchen.
Am 28. Dezember 1930 veröffentlichte Marinetti in der Turiner Gazzetta del Popolo
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