Die Erfinder des guten Geschmacks
hohe Ansprüche.
Point lernte solides Handwerk im Kreis der Familie, bevor er es in Paris perfektionierte, zuerst bei Foyot in Paris, dann im Hotel Bristol. Stationen im Majestic in Cannes und im Royal in Évian-les-Bains folgten. Doch während der Sohn in der Fernelernte, erlitt Vater Auguste einen beruflichen Fehlschlag: Die Kette »Buffets de France« lehnte seinen Antrag auf Mitgliedschaft ab. Auguste wollte sich neu orientieren, doch ein Lokal im nahen Lyon lag außerhalb seines finanziellen Spielraums. Die Stadt zwischen Saône und Rhône war damals die Metropole der Seidenweber, Gäste und Wirte verfügten über Geld in Hülle und Fülle. Vater Point kaufte schließlich das durchaus reputierte Restaurant von Léon Guieu in Vienne südlich von Lyon. Am 10. September 1923, dem Tag des Verkaufs, soll Guieu seiner Familie die gute Nachricht mit folgenden Worten verkündet haben: »Auguste Point hat das Restaurant für seinen Sohn erworben, ein junges A***, das ›neue Küche‹ machen will.«
Zwei Jahre später starb Auguste, sein Sohn benannte das Lokal in La Pyramide um, nach einer antiken Ruine in der Nähe. Gekocht wurden Regionalgerichte. Point hatte einen guten Ruf in der Umgebung, doch er musste erst seine Frau treffen, um in ganz Frankreich bekannt zu werden. Marie-Louise, genannt Mado, hatte es ihm angetan, eine Friseuse aus der Nachbarschaft. Die Hochzeitsglocken läuteten 1930. Madame Point hatte Erfahrung im Umgang mit Kunden und einen Sinn für Stil, Gäste beschrieben sie als charismatische Wirtin. Monsieur Point baute um: Das Haus bekam eine Terrasse, die Küche entfernte sich vom regionalen Repertoire. Große Küche war für Fernand Point die hohe Kunst des Weglassens. Er selbst beschrieb das stets in prägnanten Sätzen, von denen einige zu geflügelten Worten wurden: »Butter, Butter, gebt mir Butter« ist wohl sein bekanntester Ausspruch.
»Die beste Küche beruht auf den Produkten der Saison«, sagte er – heute klingt das banal, wird jedoch bei Weitem nicht mehr überall am Herd gelebt. »Wenn der Schöpfer sich die Mühe gemacht hat, uns diese köstlichen Dinge zu schenken,so deshalb, dass wir sie mit Sorgfalt bereiten und in schöner Form darbieten«, erklärte er. Oder: »Die Küche ist nicht unantastbar wie ein Gesetzestext. Aber man muss sich davor hüten, die tragenden Fundamente anzugreifen.« Point schlemmte zu Hause Sauerkraut und servierte den Gästen Foie gras im Briocheteig, überbackene Flusskrebse oder Poularde »Pyramide«. Der britische Journalist Quentin Crewe besuchte Mado Point 1977 und resümierte Points Beitrag zur Küche in Great Chefs of France (1978) trefflich: »Was Point erstrebte, war im Grunde nichts anderes als eine Rückkehr zum Kern der Dinge. Ihm lag vor allen anderen daran, dass ein Hühnchen auf dem Teller des Gastes nach Hühnchen schmecken sollte, und zwar nach dem besten, gesündesten und vollkommensten, dem am sorgfältigst gezüchteten Hühnchen, das im besten Alter geschlachtet wurde, danach vier bis fünf Tage in den Kühlschrank wanderte und schließlich mit unendlicher Sorgfalt zubereitet wurde, wobei nichts von seinem essenziellen Geschmack verloren gegangen sein durfte […] Nichts sollte auch nur eine Minute früher geschehen als nötig. Eine von Points strengen Regeln lautete, dass ›jeden Morgen aus dem Nichts vor einem leeren Herd begonnen werden musste. Das ist cuisine!‹«
Points Eignungstest für Jungköche war die Zubereitung eines Spiegeleis. Wer den Test bestehen wollte, musste cremiges Eiweiß und ein heißes Eigelb vorweisen.
Bekannt war er für seine Art, die Gäste zu erziehen: Die große Küche wartet nicht auf den Gast, erklärte er »Zuspätkommern« zuweilen. Als ein verspäteter Gast ihn bat, ihm »irgendetwas« zu servieren, meinte Point laut Crewe nur: »Wenn es Ihnen egal ist, was Sie essen, dann ist es Ihnen auch egal, wo Sie essen.«
Rauchern pflegte er einen Kaffee und die Rechnung servieren zu lassen. Der Griff zur Zigarette zeigte ja, dass sie sich jetztfür andere Geschmacksnoten als denjenigen in Points Menüs interessierten.
Nur was die dünnen Köche betraf, warnte der Meister vor Verallgemeinerungen: »Bevor man einen mageren Mann schlecht beurteilt, muss man recherchieren: Vielleicht ist es ja ein ehemaliger Dicker?«
Neben Madame Brazier konnte noch jemand im Frankreich der Nachkriegszeit mit dem Können des großen Point mithalten: Alexandre Dumaine (1895-1974), der in der Côte d’Or in Saulieu in
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