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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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von Wärme und Treue im Hause. Wenn man mal gelegentlich in den Keller kommt, um irgendetwas höchst Profanes zu erledigen, so steht er in der Ecke, der bunte irdene Topf, als ein lieber Freund […] Wie könnte man das dunkle Gelass verschließen, ohne ihn, den Guten, Stillen in der Ecke, begrüßt zu haben.‹«
    Dann folgte ein Geflügelzüchter namens Pölts, der mit Wilmenrods Hilfe den Puter in deutsche Küchen drückte. »Der deutsche Puter marschiert« hieß es da. Auch beim Gemüse gab es kuriose Geschäfte: »Die Absatzgenossenschaften sitzen auf Bergen von Tomaten. Wilmenrod kommt gerade von einer Italienreise zurück – versehen mit vorzüglichen Tomatenrezepten – und macht nun eine entsprechende Sendung.« Für diese Kollektivwerbung habe Wilmenrod kein Honorar erhalten, dafür jedoch einen lukrativen Zusatzauftrag, indem er gegen Geld Reklamefeuilletons über Gemüserohkost schrieb.
    Rezepte gegen Geld? Das war damals schockierend. Wenn sich heute »Spitzenköche« von der Zusatzstoff- und der Aromenindustrie bezahlen lassen, wird daraus keine Titelgeschichte. Hätte Clemens Wilmenrod nur die Ausrede aller Ausreden gekannt, ihm wäre etlicher Ärger erspart geblieben, vielleicht hätte er es gar zum anerkannten »Künstler« gebracht. Die Zauberworte heißen: »Alles, von der Finanzierung bis zur Dosenkost, dient allein der Steigerung meiner kulinarischen Kreativität.«

11. D IE N OUVELLE C UISINE
    »Du wirst untergehen!«, prophezeite der etablierte Spitzenkoch Jean Delaveyne vom Camélia in Bougival seinem jungen Gesprächspartner. »Also stirb in Schönheit und koche, was dir gefällt.« Der junge Mann hieß Michel Guérard, hatte 1965, ein Jahr vor seinem Wortwechsel mit Delaveyne, ein winziges Bistro im nicht gerade schicken Pariser Vorort Asnières für 20   000 Francs auf einer Versteigerung erworben. Kaum einer der zahlungskräftigen Gäste aus der Hauptstadt fand seinen Weg ins Pot au Feu.
Der Schlankheitskoch
    Überhaupt war Guérard eigentlich Patissier. Sogar ein M.O.F. – Meilleur Ouvrier de France (»bester Handwerker Frankreichs«) – in der Disziplin der süßen Sachen, mit guten Jobs, zuerst als Chef der Patisserie des Hôtel de Crillon, dann des Lido-Cabarets, mit sahnigen Törtchen zwischen halb nackten Damen. Mediziner hatte er werden wollen, aber die Eltern rieten ihm ab. Zum eigenen Lokal im Vorort hatten ihm auch die Eltern geraten. Jetzt schob Guérard einen stattlichen Berg Schulden vor sich her und der väterliche Freund Delaveyne sah die Pleite am Horizont.
    Wäre Guérards Leben eine Hollywood-Produktion, dann wären wir jetzt schon im dritten Akt. Im ersten werden dieCharaktere eingeführt, das Geschehen eingeleitet, im zweiten kommt eine überraschende Wendung, im dritten Akt schließlich steckt unser Held in seiner tiefsten Krise. Im vierten dann muss unser Protagonist einen Weg aus dem Schlamassel finden: Natürlich hörte Guérard auf seinen Kumpel Delaveyne und begann zu kreieren. Kritiker begeisterten sich für die Salade folle mit Bohnen, Spargel und Foie gras oder simple gebratene Jakobsmuscheln. Die Pariser entdeckten das Lokal und fanden den Weg in den verruchten Vorort auf einmal très chic . Nouvelle war die Cuisine damals noch nicht, denn bei Guérard gab es auch schwere Kutteln in Sancerre oder Salat mit Speck und Roquefort. Die Sängerin und Nightclub-Besitzerin Regine war von der Küche derart begeistert, dass sie dem jungen Michel ihre Clubs in New York und Paris anvertraute.
    Irgendwann fand eine elegante Dame mit wallendem braunem Haar ihren Weg in die Küchen, dankte Monsieur Guérard dafür, einen Lehrling aus einem ihrer Kurhotels zu unterrichten.
    Wie es sich für Hollywood gehört, verliebte sich unser Held Hals über Kopf.
    Christine Barthélémy und Michel Guérard wurden ein Paar. Der französische Staat baute an Ort und Stelle des Pot au Feu eine Straße und unsere Jungvermählten verließen die Hauptstadt, um im fernen Südwesten ihr Glück zu versuchen. »Mein Schwiegervater hat mir Anfang der Siebzigerjahre ein traditionsreiches Kurhotel in Eugénie-les-Bains anvertraut – unser heutiges Les Prés d’Eugénie. Seit Jahrzehnten zog es die Leute in den winzigen Ort, um dort ein paar Pfunde zu verlieren oder eine Kur zu machen. Mit dieser Tradition wollte ich nicht brechen, also habe ich angefangen, in meiner Küche mit kalorienarmer Kost zu experimentieren. Und natürlich hatte ich auch selbst ein paar Pfunde angesetzt und wollte

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