Die Erfinder des guten Geschmacks
Burgund berühmt wurde. Gelernt hatte er im legendären Café de Paris, bevor er sich mit seiner Frau Jeanne, einer ehemaligen Journalistin von Harper’s Bazaar , am eigenen Herd niederließ. Die Großen seiner Zeit pilgerten ins Burgund, um kalten Hasenrücken mit Sauce Poivrade, Pastete in der Teigkruste, Krebsschwänze in Blätterteig oder gegrillte Bresse-Poularde zu genießen. Dumaine bot mehr als viele seiner Kollegen, und das trifft nicht nur auf die Qualität der Gerichte zu. Neben dem Tagesgericht und der gewöhnlichen Karte gab es eine Sonderkarte für spezielle Gerichte, die Vorbereitung benötigten und vom Kunden verbindlich vorbestellt werden mussten. (Eine schöne Tradition, die sich bis in die Achtzigerjahre im Brüsseler Comme chez Soi erhalten hat).
Points Pyramide war letztendlich die Keimzelle für die Küche der kommenden Jahrzehnte. La Pyramide machte Schule – nicht nur Point selbst, sondern auch sein Mitarbeiter, Stellvertreter und Nachfolger Paul Mercier. Köche wie Alain Chapel, Paul Bocuse, Louis Outhier, Jean und Pierre Troisgros lernten bei ihm, wurden in der Pyramide Freunde und Kollegen.
Pariser Köche schafften problemlos den Sprung in die Nachkriegszeit. Schon 1952 schwärmten die amerikanischen Autoren James Beard und Alexander Watt in Paris Cuisine von den »Trüffeln in der Serviette« im L’Escargot, den gegrillten Sardinen im Grand Comptoir, Froschschenkeln im L’Ami Louis, flambiertem Seewolf im Relais de Porquerolles, dem Gratin vom Kaisergranat im La Pérouse und den Gerichten von immerhin 55 weiteren Restaurants. Doch Points Prominenz erreichte damals keiner der Pariser Küchenmeister.
„Um gut in Frankreich zu essen, ein Punkt, das ist alles“, sagte Sacha Guitry. Punkt heißt im Französischen „Point“ – gemeint war Koch Fernand Point.
Die deutsche Pute marschiert
In Sachen Bauchumfang hätten sich Ludwig Erhard und etliche Nachkriegsdeutsche mit »Magnum« Point messen können. Nach den Hungerjahren des Krieges gab es diesseits des Rheins Nachholbedarf. Die Bezugsscheine für Lebensmittel wurden erst 1950 abgeschafft. Als dann die Lebensmittelpreise fielen und die Löhne stiegen, konnte fast jeder wieder kräftig zugreifen. Noch dazu gab es nie gekannte Delikatessen, etwa Ananas aus der Dose. Exotisches schmeckte besonders gut: Verspeiste ein deutscher Vier-Personen-Haushalt im Jahr 1937 noch 314 Gramm frische Südfrüchte pro Monat, waren es 1955 beachtliche 3252 Gramm.
Seit 1955 hieß es zudem: »Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.« Man pilgerte in die Geflügelrestaurantkette des Friedrich Jahn. Bauch und Speckrollen brauchte niemand zu verstecken oder wegzutrainieren. Man war wieder wer – und das zeigte man auch gern.
Der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod schaffte es 1955, die Sehnsucht nach Exotik und Kalorien in einem Rezept zu verbinden: gebutterter Toast, gekochter Schinken, Ananas aus der Dose, eine Cocktailkirsche, Schmelzkäse. Fertig war der Toast Hawaii! Kurios war er nach damaligen Verhältnissen nicht wegen der Ananas, die kannte jeder, sondern aufgrund der süß-sauren Mischung. Unbekümmert griff man zur Dosenware, machte aus Tomatenmark, Dosensahne, Heringsbrocken und Banane einen »Heringssalat nach Art der bretonischen Fischer«. Die wussten ebenswo wenig von ihrer Spezialität wie die Libanesen, die Wilmenrod als Urheber des »arabischen Reiterfleisches«, eines Hackfleischgerichts, nannte. »Obwohl nur 200 Kilometer lang und 20 Kilometer breit […] leben dort mehr Spitzbuben als auf der gesamten Nordhalbkugel zusammengenommen!« So soller vor versammeltem Publikum das angebliche Ursprungsland seiner Rezepte erklärt haben.
Wilmenrod war seiner Zeit voraus, wenn auch nicht unbedingt mit seinen Rezepten. Denn er war gar kein Koch, sondern Schauspieler, der vor seiner berühmten Kochsendung noch Carl Clemens Hahn hieß und erst dann sein Pseudonym annahm. Aber wer weiß heute noch, ob in den zahllosen Kochsendungen gerade ein Schauspieler kocht oder ein Koch schauspielert?
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel deckte 1959 mit der Titelgeschichte »Der Doppelkopf« schließlich Schockierendes auf: Wilmenrod ließ sich von Lebensmittelherstellern bezahlen! Pott Rum aus Flensburg hatte als Erster die Geldbörse geöffnet. »Während er mit Pott Werbegeschäfte machte, pries Wilmenrod den Rumtopf siebenmal in seinen Sendungen, und auch in seinen Büchern besang er ihn als Hausfreund: ›Der Rumtopf verbreitet etwas
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