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Die Erfindung der Einsamkeit

Die Erfindung der Einsamkeit

Titel: Die Erfindung der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Wert darauf, Glühbirnen mit niedriger Wattleistung zu kaufen.

    Sein Vorwand, weshalb er nie mit uns ins Kino ging: «Wozu ausgehen und ein Vermögen ausgeben, wenn der Film in ein oder zwei Jahren im Fernsehen läuft?»

    Gelegentlich ein Essen mit der Familie im Restaurant: Wir mussten immer die billigsten Sachen von der Speisekarte nehmen. Das wurde fast ein Ritual. Ja, pflegte er nickend zu sagen, das ist eine gute Wahl.
    Jahre später, als meine Frau und ich in New York wohnten, führte er uns manchmal zum Abendessen aus. Das Drehbuch war immer dasselbe: Sobald wir die letzte Gabelvoll Essen in den Mund geschoben hatten, fragte er: «Können wir gehen?» Unmöglich, übers Dessert auch nur nachzudenken.
    Sein völliges Unbehagen in seiner Haut. Seine Unfähigkeit stillzusitzen, zu plaudern, sich zu «entspannen».
    Es machte einen nervös, mit ihm zusammenzusein. Man hatte immer das Gefühl, er wollte gerade aufbrechen.

    Er liebte schlaue kleine Tricks, brüstete sich mit seiner Fähigkeit, die Welt mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Eine Knausrigkeit bei den belanglosesten Dingen des Lebens, ebenso lächerlich wie deprimierend. Bei all seinen Autos klemmte er den Kilometerzähler ab, manipulierte den Kilometerstand, um einen besseren Wiederverkaufspreis zu erzielen. Sämtliche Reparaturarbeiten in seinem Haus machte er selbst, anstatt einen Handwerker zu bestellen. Da er ein Händchen für Maschinen hatte und wusste, wie was funktionierte, verfiel er auf bizarre Schnellrezepte und benutzte alles, was gerade zur Hand war, um für mechanische und elektrische Probleme irgendwelche hingeschluderten Lösungen zu improvisieren – anstatt das Geld für eine richtige Reparatur auszugeben.
    Dauerhafte Lösungen interessierten ihn nicht. Er flickte und flickte immer weiter, ein bisschen hier, ein bisschen dort, so dass sein Boot zwar nie sank, aber auch nie richtig flott wurde.

    Wie er sich kleidete: als wäre er zwanzig Jahre hinter der Zeit zurück. Billige Synthetikanzüge aus den Regalen von Diskontläden; unverpackte Schuhe aus den Wühlkästen mit Sonderangeboten. Diese Missachtung der Mode zeugte nicht nur von seiner Knickrigkeit, sondern bestätigte auch das Bild von ihm als das eines Mannes, der in der Welt nicht ganz heimisch ist. Seine Kleidung wirkte wie ein Ausdruck seiner Einsamkeit, wie eine konkrete Bekräftigung seiner Abwesenheit. Obwohl es ihm gutging und er sich leisten konnte, was er wollte, sah er aus wie ein armer Mann, wie ein Bauerntölpel, der gerade von seinem Hof gekommen ist.
    In seinen letzten Lebensjahren hat sich das ein wenig geändert. Das neuerliche Junggesellendasein hatte ihm vermutlich einen Stoß versetzt: Er erkannte, dass er sich ordentlich zurechtmachen musste, wenn er noch irgendwie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollte. Nicht dass er loszog und sich teure Kleider kaufte, aber zumindest der Farbton seiner Garderobe änderte sich: Die langweiligen Braun- und Grautöne wichen freundlicheren Farben: An die Stelle des Altmodischen trat ein auffälligeres, gepflegteres Äußeres. Karierte Hosen, weiße Schuhe, gelbe Rollkragenpullover, Stiefel mit großen Schnallen. Aber trotz aller Bemühungen sah er in diesen Kostümen nie ganz heimisch aus. Sie waren kein integraler Teil seiner Persönlichkeit. Man musste dabei an einen kleinen Jungen denken, der von seinen Eltern zurechtgemacht worden ist.

    In Anbetracht seiner seltsamen Beziehung zum Geld (seinem Verlangen nach Reichtum, seiner Unfähigkeit, es auszugeben) war es irgendwie passend, dass er sein Einkommen unter den Armen erwirtschaftete. Im Vergleich zu ihnen war er ein Mann von ungeheurem Wohlstand. Und doch konnte er, indem er seine Tage unter Leuten verbrachte, die so gut wie nichts besaßen, ständig eine Vision dessen vor Augen haben, was er am meisten fürchtete: ohne Geld zu leben. Das rückte ihm die Dinge ins richtige Verhältnis. Er sah sich nicht als Geizhals – sondern als einen vernünftigen Mann, der genau wusste, was ein Dollar wert war. Er musste wachsam sein. Das war das Einzige, was zwischen ihm und dem Alptraum der Armut stand.
    Auf dem Höhepunkt ihrer Geschäfte besaßen er und seine Brüder fast einhundert Gebäude. Ihr Terrain war das finstere Industriegebiet im Norden von New Jersey – Jersey City, Newark –, und fast alle ihre Mieter waren Schwarze. Man sagt das so: «Miethai», aber in diesem Fall wäre das weder eine genaue noch eine faire Bezeichnung gewesen. Ebenso wenig konnte

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