Die Erfindung der Einsamkeit
Zeitung erschien, waren noch viele dieser Unkorrektheiten darin enthalten.
Drei Tage vor seinem Tod hatte mein Vater sich einen neuen Wagen gekauft. Er hatte ihn einmal, vielleicht zweimal gefahren, und als ich nach der Beerdigung zu seinem Haus zurückkehrte, sah ich ihn, bereits defekt, wie eine riesige Totgeburt in der Garage stehen. Später verzog ich mich einmal in die Garage, um einen Moment mit mir allein zu sein. Ich setzte mich hinters Steuer und sog den seltsamen fabrikneuen Geruch ein. Der Kilometerzähler stand auf siebenundsechzig. Zufällig war das auch das Alter meines Vaters: siebenundsechzig Jahre. Die Kürze dieser Strecke machte mich fertig. Als wäre dies die Entfernung zwischen Leben und Tod. Eine winzige Reise, kaum länger als eine Fahrt in die nächste Stadt.
Größter Kummer: dass ich keine Gelegenheit fand, ihn nach seinem Tod zu sehen. Ahnungslos hatte ich angenommen, der Sarg werde während der Begräbnisfeierlichkeiten offenstehen, aber dem war nicht so, und ich konnte nichts mehr daran ändern.
Dass ich ihn nicht als Toten gesehen habe, beraubt mich einer Pein, die ich gern erlitten hätte. Nicht dass mir sein Tod dadurch weniger real ist, aber jetzt muss ich jedes Mal, wenn ich ihn sehen oder diese Realität greifbar werden lassen will, auf meine Phantasie zurückgreifen. Ich habe nichts, an das ich mich erinnern kann. Nichts als eine Art Leere.
Als das Grab aufgedeckt wurde, um den Sarg zu empfangen, sah ich eine dicke orangene Wurzel in das Loch ragen. Das wirkte seltsam beruhigend auf mich. Für einen kurzen Augenblick ließ sich die nackte Tatsache des Todes nicht mehr hinter den Worten und Gesten der Zeremonie verstecken. Da war er: unmittelbar und unverbrämt; unmöglich, den Blick davon abzuwenden. Mein Vater wurde in die Erde gesenkt, und später, wenn der Sarg sich allmählich auflöste, würde sein Körper zur Ernährung eben dieser Wurzel beitragen. Mehr als alles, was an diesem Tag gesagt oder getan worden war, schien mir dies einen Sinn zu haben.
Bei dem Rabbi, der den Trauergottesdienst leitete, handelte es sich um denselben Mann, der neunzehn Jahre zuvor meine Bar-Mizwa geleitet hatte. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er ein ziemlich junger, glattrasierter Mann. Jetzt war er alt und trug einen grauen Vollbart. Er hatte meinen Vater nicht gekannt, wusste auch gar nichts von ihm, und eine halbe Stunde vor Beginn der Feier setzte ich mich mit ihm zusammen und erklärte ihm, was er in der Grabrede sagen sollte. Er machte sich auf kleinen Zettelchen Notizen. Als er dann seine Rede hielt, sprach er mit viel Empfindung. Sein Thema war ein Mann, den er nie gekannt hatte, und doch vermittelte er das Gefühl, als spräche er aus tiefstem Herzen. Hinter mir konnte ich eine Frau schluchzen hören. Er folgte dem, was ich ihm erzählt hatte, beinahe Wort für Wort.
Ich habe den Eindruck, dass ich diese Geschichte schon vor langer Zeit, lange vor dem Tod meines Vaters zu schreiben begonnen habe.
Abend für Abend liege ich wach im Bett, die Augen offen im Dunkeln. Die Unmöglichkeit zu schlafen, die Unmöglichkeit, nicht an sein Sterben zu denken. In meinen Laken schwitzend, versuche ich mir vorzustellen, was für ein Gefühl das sein mag, wenn man einen Herzinfarkt hat. Adrenalin durchpulst mich, mein Kopf hämmert, und mein ganzer Körper scheint sich zu einem kleinen Punkt hinter meiner Brust zusammenzuziehen. Ein Bedürfnis, die gleiche Panik zu erleben, die gleiche Todesqual.
Und dann kommen nachts, fast jede Nacht, die Träume. In einem davon, der mich vor wenigen Stunden aus dem Schlaf riss, wurde mir von der jugendlichen Tochter der Freundin meines Vaters mitgeteilt, dass sie, die Tochter, von meinem Vater geschwängert worden sei. Da sie noch so jung war, wurde verabredet, dass meine Frau und ich das Kind nach der Geburt bei uns aufnehmen würden. Das Baby sollte ein Junge sein. Alle wussten das im Voraus.
Gleichermaßen trifft es vielleicht zu, dass diese Geschichte, wenn sie einmal aus ist, sich selbst weitererzählen wird, auch wenn alle Worte verbraucht sind.
Der alte Herr bei der Beerdigung war mein Großonkel Sam Auster, inzwischen fast neunzig Jahre alt. Groß, kahl; hohe krächzende Stimme. Kein Wort über die Ereignisse von 1919, und ich hatte nicht den Mut, ihn danach zu fragen. Ich habe mich um Sam gekümmert, als er ein kleiner Junge war, sagte er. Aber das war auch alles.
Gefragt, ob er etwas zu trinken haben wolle, verlangte er ein Glas
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