Die Erfindung der Einsamkeit
den Lärm der Maschine nachahmen, die ihn den Tag über gefangenhält. Ausnahmsweise einmal kann A. mit einem ruhigen, ununterbrochenen Schlaf rechnen. Nicht einmal das Eintreffen des Weihnachtsmanns wird ihn stören.
Wintersonnenwende: die dunkelste Zeit des Jahres. Kaum ist er am Morgen aufgewacht, spürt er auch schon, dass der Tag ihm zu entgleiten beginnt. Kein Licht, in das er seine Zähne senken kann, kein Gefühl von sich entfaltender Zeit. Eher ein Gefühl, als würden Türen geschlossen und Riegel vorgeschoben. Eine hermetische Jahreszeit, ein langer Augenblick der Innerlichkeit. Die Außenwelt, die greifbare Welt aus Materie und Körpern, scheint nur mehr eine Hervorbringung seines Geistes. Er hat das Gefühl, durch die Ereignisse zu gleiten, wie ein Gespenst um seine eigene Anwesenheit zu schweben, als lebe er irgendwo neben sich – nicht richtig hier, doch auch nirgendwo anders. Ein Gefühl, als sei er eingesperrt worden und könne doch gleichzeitig durch Wände gehen. Irgendwo am Rande eines Gedankens bemerkt er: eine Dunkelheit in den Knochen; notier dir das.
Tagsüber strömt Hitze aus voll aufgedrehten Heizkörpern. Selbst jetzt, im tiefsten Winter, ist er gezwungen, das Fenster offenzulassen. Nachts dagegen gibt es nicht die geringste Wärme. Er schläft in voller Kleidung, mit zwei oder drei Pullovern, fest in einen Schlafsack gemummt. An den Wochenenden ist die Heizung ganz ausgestellt, Tag und Nacht, und in letzter Zeit ist es vorgekommen, dass er an seinem Tisch zu schreiben versuchte und den Stift in seiner Hand nicht mehr fühlen konnte. An sich stört ihn dieser Mangel an Komfort nicht. Doch bringt er ihn fortwährend aus dem Gleichgewicht, treibt ihn in einen Zustand ständiger innerer Wachsamkeit. Sosehr es auch danach aussehen mag, dieses Zimmer ist kein Winkel, in dem er vor der Welt Zuflucht sucht. Nichts hier heißt ihn willkommen, nichts hier verheißt ihm einen Soma-Urlaub, der ihn seine Sorgen vergessen lassen könnte. Diese vier Wände bergen nur die Zeichen seiner eigenen Unruhe, und um in dieser Umgebung ein wenig Frieden zu finden, muss er sich immer tiefer in sich selbst vergraben. Aber je mehr er gräbt, desto weniger wird noch zum Graben übrigbleiben. Das scheint ihm unbestreitbar. Früher oder später wird er sich aufgebraucht haben.
Wenn es Nacht wird, geht der elektrische Strom auf halbe Kraft zurück, schwillt dann wieder an, geht wieder zurück, offenbar ohne Grund. Als würde das Licht von irgendeiner schelmischen Gottheit regiert. Bei Con Edison steht das Haus gar nicht auf der Liste, und niemand hat je etwas für Strom bezahlen müssen. Gleichzeitig hat die Telefongesellschaft sich geweigert, A.s Existenz zur Kenntnis zu nehmen. Das Telefon ist seit neun Monaten hier und funktioniert einwandfrei, aber bis jetzt hat er noch keine einzige Rechnung erhalten. Als er kürzlich dort anrief, um das Problem zu bereinigen, beharrte man darauf, nie von ihm gehört zu haben. Irgendwie ist es ihm gelungen, den Fängen des Computers zu entwischen, und keins seiner Telefonate ist je verzeichnet worden. Sein Name steht nicht in den Büchern. Wenn er Lust hätte, könnte er seine müßigen Augenblicke mit kostenlosen Ferngesprächen verbringen. Tatsache aber ist, dass es niemanden gibt, mit dem er reden will. Nicht in Kalifornien, nicht in Paris, nicht in China. Die Welt ist für ihn auf die Größe dieses Zimmers geschrumpft, und so lange, wie er dazu braucht, sie zu verstehen, muss er bleiben, wo er ist. Nur eins ist sicher: Er kann nirgendwo anders sein, solange er nicht hier ist. Und wenn es ihm nicht gelingt, diesen Ort zu finden, wäre es ein absurder Gedanke, nach einem anderen suchen zu wollen.
Das Leben im Innern des Wals. Eine Glosse über Jona, und was es bedeutet, das Sprechen zu verweigern. Paralleltext: Gepetto im Bauch des Haifischs (Wal in Disney-Version), und die Geschichte, wie Pinocchio ihn befreit. Stimmt es, dass man, um ein richtiger Junge zu werden, ins Meer hinabtauchen und seinen Vater retten muss?
Erste Erwähnung dieser Motive. Fortsetzungen folgen.
Dann Schiffbruch. Crusoe auf seiner Insel. «Wenn der Junge zu Hause bliebe, könnte er glücklich werden, doch wenn er in die Ferne zieht, wird er der elendeste Wicht, der je geboren wurde.» Einsames Bewusstsein. Oder nach George Oppen: «Der Schiffbruch des Einzelnen.»
Eine Vision von Wogen ringsum, Wasser endlos wie Luft, hinter ihm der heiße Dschungel. «Ich bin von der Menschheit abgesondert,
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