Die Erfindung des Abschieds /
versteckt.«
»Wie bist du ins Auto reingekommen?«
»Das war offen.« Er schwieg.
»Als du zu dem Friedhof gekommen bist, war er noch geschlossen«, sagte Süden.
»Na und? Ich hab gewartet, und dann bin ich eingeschlafen. In dem Auto. Und dann bin ich aufgewacht, und dann hab ich meinen Vater gesehen, und da hab ich mich wieder versteckt.«
»Wo?«
»In dem Auto vom Gustl, der hat mich nämlich gesehen, aber er hat mich nicht verraten, er hat mich gefragt, wieso ich mich versteck, und da hab ich ihm gesagt, dass mein Opa tot ist und dass ich das nicht versteh und dass da vorn mein Vater ist und dass der mich grün und blau schlägt, wenn er mich auf dem Friedhof sieht, weil ich nämlich weggelaufen bin.«
»Der Gustl, das ist August Anz?«
»Weiß nicht, Gustl heißt der.«
»Und was hat Gustl dann getan?«
»Gar nichts. Er hat mich gleich verstanden, das war toll, er hat gesagt, ich soll mitkommen, und dann hab ich seinen Freund kennen gelernt, den Frank, der immer so aus dem Mund stinkt, das war schlimm, aber er war schon in Ordnung, der hat mich heimlich aus dem Haus gebracht, als die Polizisten draußen gewartet haben, aber wir waren schlauer.«
Er schwieg. Betrachtete seine Turnschuhe. Bohrte in der Nase.
»Was ist passiert, nachdem du deine Eltern auf dem Friedhof gesehen hast?«
»Dann hat der Gustl gesagt, wenn ich will, nimmt er mich mit und bringt mich später nach Hause. Da hab ich gesagt, dass ich nie wieder nach Hause gehe, und wenn er mich nach Hause bringt, dann lauf ich wieder weg. Da hat er mich gefragt, wieso, und ich hab’s ihm gesagt.«
»Was hast du ihm gesagt, Raphael?«
»Dass mich mein Vater schlägt, und dass mich meine Mutter einsperrt und das alles, ich hab alles gesagt, und das hat der Gustl verstanden.«
»Und er hat dich in seine Wohnung mitgenommen.«
»Ja, zuerst hat er mir noch eine Zahnbürste gekauft, da haben wir extra angehalten, und er hat was zu trinken und zu essen gekauft, und dann hat er mich geduscht, weil ich ja schmutzig war …«
»Wie meinst du das, er hat dich geduscht? Habt ihr zusammen geduscht?«
»Wieso zusammen? Da wär doch gar kein Platz gewesen, so ein Unsinn, die Dusche ist doch bloß ganz klein, da passt bloß einer rein. Er hat mir Seife gegeben und mir den Rücken abgeschrubbt, so wie die Mama das macht, und dann hab ich mich wieder angezogen …«
»Hat sich Gustl auch ausgezogen in der Dusche?«
»Nein, wieso denn, der wollt ja gar nicht duschen, der wollt doch nur, dass ich sauber bin. Und dann hab ich mir die Zähne geputzt. Das war schön bei ihm.«
Er schwieg. Bohrte in der Nase.
»Wo hast du geschlafen?«
»In einem ganz kleinen Zimmer, am Anfang hab ich mich gefürchtet, aber dann nicht mehr.«
»Hat er dich eingesperrt?«
»Wieso denn? Ich war doch gern bei ihm.«
»Und der Frank kam zu Besuch, hast du mit ihm auch gesprochen?«
»Nicht so gern, er stinkt aus dem Mund, und er rülpst immer, noch lauter als mein Vater, ich mag das nicht. Aber er hat mich versteckt, als die Nachbarin den Gustl verraten hat.«
»Wie hat der Frank das gemacht, dass die Polizisten nichts gemerkt haben?«
Er schwieg eine Zeit lang. »Sag ich nicht.« Er schwieg wieder. Bohrte in der Nase und wischte den Popel an der Hose ab.
»Frank hat dich abgeholt, und niemand hat was gemerkt. Mit dem Auto?«
»Ja, klar, mit dem Auto. Dann sind wir zu ihm gefahren, und er hat mich in seinem Schlafzimmer versteckt.«
»Warum im Schlafzimmer?«
»Weil im Wohnzimmer die Polizisten waren, die ihn verhört haben.«
»Die Polizisten haben mit Frank geredet, und du warst nebenan?«
»Schlau, gell?«
»Und weiter?«
»Und dann bin ich so lange bei ihm geblieben, bis er mich nach Hause schicken wollte, und das wollt ich nicht, und da bin ich weggelaufen, obwohl ich gern noch dageblieben wär.«
»Hast du nachts bei ihm im Bett geschlafen, Raphael?«
»Äähh, bei dem doch nicht! Der stinkt doch so, wieso soll ich bei dem im Bett schlafen?«
»Hast du bei ihm auch geduscht?«
»Nein, ich hab gebadet.«
»Alleine oder mit ihm zusammen?«
»Alleine, was denn sonst?« Er schwieg.
»Du hast dich also wohl gefühlt bei den beiden, beim Gustl und beim Frank.«
»Ja, und wie! Das war schön, das war wie Ferien. Und ich hab ihnen von meinem Opa erzählt, und von seiner Eisenbahn im Keller, und den neuen Sachen, die wir hingebaut haben, der großen Brücke übers Wasser bis rüber zur roten Insel und so Sachen. Die haben mir auch immer zugehört,
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