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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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müssen die Frauen nicht zehn Meter hinter den Männern herlaufen, du Blödmann!«
    Er dachte nicht daran, wegen ihr stehen zu bleiben.
    Sie bewegte sich nicht vom Fleck.
    Als er die Einfahrt zum Parkplatz erreichte, der sich am Anfang des Geländes befand, drehte er sich um und schaute in Sunnys Richtung. Sie stand mitten auf dem Gehsteig, und eine Gruppe Erwachsener musste einen Bogen um sie machen.
    »Jetzt komm schon!«, rief Aras.
    »Nein!«, rief sie.
    »Dann geh ich allein!«
    »Du blöder Kerl!«
    Er wandte sich um und ging weg, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm hinterherzulaufen. Kurz vor einer der vielen Hallen, in denen früher die Pfanni-Werke untergebracht waren, holte sie ihn ein.
    »Bleib bloß stehen, du türkischer Macho!«
    »Du weißt ja gar nicht, was das ist!«
    »Weiß ich genau! Du bist das!«
    »Halt die Klappe!«
    Er ließ sie wieder stehen und ging ins Innere der Halle, in der ein einziges Krachen und Schreien herrschte. Skateboarder ratterten über die Halfpipe oder schossen einen Steilhang hinunter wie auf Skiern; die meisten waren zwischen elf und fünfzehn und hatten eine perfekte Technik; sie feuerten sich stürmisch an, klatschten, grölten, schrien sich die Seele aus dem Leib. An einer Theke gab es Süßigkeiten und Getränke, und ein junger Mann mit einem Pferdeschwanz achtete darauf, dass niemand Alkohol trank. Die Bestimmungen des Jugendschutzes, die an einem großen Schild an der Wand prangten, brachten hier keinen in Verlegenheit, die Jungen wollten nur Spaß haben und fahren, so waghalsig wie möglich, und den Mädchen damit imponieren, die, wie sie wussten, nur zu diesem Zweck hergekommen waren.
    Sunny stand an der Tür, ein paar Jungs wurden bereits auf sie aufmerksam und winkten ihr zu. Das war die plumpe Art, damit gab sie sich schon lange nicht mehr ab. Wenigstens lächelte sie, und ihre roten Lippen waren sofort eine Attraktion.
    Einer der Stars der Clique, die gerade ihre Kunststücke vorführte, bretterte mit seinem Skateboard die Bahn hinunter, sprang in die Höhe, drehte sich in der Luft, und landete sicher auf dem Brett. Er bremste professionell ab, klemmte sich das Board unter den Arm und ging auf Sunny zu. In diesem Moment hielt ihr jemand von hinten die Augen zu. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen, winkte ab, seine Freunde raunten ein langes Buuh und widmeten sich wieder den wichtigen Dingen des Lebens; für den Starskater war die Kleine nicht mal mehr Vergangenheit.
    »Deine Hände sind ganz kalt«, sagte Sunny und löste die Finger von ihrem Gesicht. Hinter ihr stand ein Junge, etwa in ihrem Alter, mit einer blauen Sonnenbrille auf der Nase, einem schwarzen Baseballkäppi und einem Rucksack. Sie schaute ihn an. »Wer bist du denn?«
    Er nahm die Brille ab.
    »Raphael! Wo kommst …«
    »Psst«, machte Raphael und zog sie zum Halleneingang, wohin Aras jetzt gelaufen kam.
    »Ich hab dich überall gesucht, Mann!«, sagte er.
    »Wir müssen aufpassen«, sagte Raphael, »die Bullen sind hinter mir her.«
    »Die haben mich ausgefragt«, sagte Sunny und strahlte Raphael an; der war kein blöder Macho, auch wenn die blaue Sonnenbrille ganz schön beknackt aussah.
    »Mich auch«, sagte Aras.
    »Was weißt du denn schon?«, sagte Sunny. »Hier, ich hab dir alles mitgebracht.« Aus der Innentasche ihrer Jacke holte sie einen kleinen Lederbeutel und zog die Schnüre auf. »Da sind fünfzig Mark drin, die heb ich mir immer auf für den Notfall. Jetzt ist ein Notfall. Mehr hab ich leider nicht.«
    »Das ist super«, sagte Raphael, »du kriegst das Geld auch ganz bestimmt zurück. Ich schwör’s dir.«
    »Du kannst mich ja mal zum Essen einladen«, flötete sie nah vor seinem Gesicht.
    »Obacht, da kommt ein Auto!«, rief Aras.
    Auf den leeren Parkplatz fuhr ein weißer BMW und hielt an. Der Fahrer stieg aus, ein hünenhafter Mann, der aussah wie ein Basketballspieler. Er sah sich um, offensichtlich kannte er sich auf dem weiträumigen Gelände nicht aus. Der Beifahrer blieb im Auto sitzen.
    »Lass uns reingehen, dann sieht uns niemand«, sagte Aras.
    »Ich muss gleich wieder los«, sagte Raphael, nahm den Rucksack ab und steckte den Lederbeutel hinein. »Und du?« Er sah Aras an.
    »Entschuldige.« Aras griff in seine Jeans und förderte ein Knäuel Papier zu Tage, zwei bis zur Unkenntlichkeit zerknitterte Zehnmarkscheine. »Die sind noch gültig, mehr hab ich nicht, tut mir Leid, Raff, ich krieg so wenig Taschengeld …«
    »Danke, Aras«, sagte Raphael,

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