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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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bedrohte, indem er einfach wartete, bis der Mann tot war. Schwer verletzt war er ja schon, der hatte doch keine Kraft mehr, Widerstand zu leisten.«
    »Welchen Grund hätte Vogel gehabt, Frank Oberfellner umzubringen?«, fragte Stern.
    »Hass. Sein Sohn Raphael hatte sich bei ihm versteckt, wahrscheinlich hat er gedacht, der Oberfellner hat seinem Jungen was angetan, ihn misshandelt, ihn so eingeschüchtert, dass er eine falsche Aussage macht. Thomas Vogel ist ein impulsiver, aggressiver Typ.«
    »Das ist wahr«, sagte Stern. »Ich hoffe, wir haben ihn bald.«
    »Er ist verschwunden, auch das verstärkt den Verdacht, dass er in der Sache mit drinsteckt.«
    »Vergleichen wir nochmal unsere Checklisten«, sagte Stern. »Konzentrieren wir uns auf das Augenfällige, das nahe Liegende und das Wahrscheinliche. Ein Mann ist in seiner Wohnung in einen Kampf verwickelt, darauf deutet das Chaos hin, das wir vorgefunden haben. Ein Messer wird benutzt, der Mann wird schwer verletzt, und was tut er? Er tut nichts. Er wurde nicht gefesselt. Keine Blutspuren im Flur. Das Telefon funktioniert, er hätte es benutzen können. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen und war vorher nicht geschlossen, geschweige denn abgesperrt, keine Blutspuren an der Tür. Der Staubschicht am Boden nach zu urteilen, wurde die Tür seit langem nicht bewegt, sie bleibt also immer offen. Der Mann klammert sich an der Couch fest, wahrscheinlich im Todeskampf, und wieder tut er etwas nicht: Er ruft nicht um Hilfe. Warum tut er das nicht? Warum schreit er nicht? Weil er wegen der schweren Verletzung am Hals nicht mehr sprechen kann? Vielleicht, wir wissen es noch nicht. Jedenfalls bleibt er im Wohnzimmer, nachdem er offensichtlich schwer verletzt über den Boden gekrochen ist, im Kreis, nicht in Richtung Telefon. Was hat die Zeugin gegenüber unserem Kollegen Süden ausgesagt? Hat sie gesehen, ob Thomas Vogels Kleidung blutverschmiert war?«
    »Nein«, sagte einer der Fahnder und hielt ein schreibmaschinenbeschriebenes Blatt Papier hoch. »Sie hat ihn nur aus dem Haus gehen sehen, das war alles. Er hatte es eilig, da ist sie sich ganz sicher. Das war kurz vor sieben Uhr früh.«
    »Wie ist Thomas Vogel überhaupt ins Haus gekommen?«, fragte Rolf Stern und dachte einen Moment daran, sich eine neue Zigarette zu drehen; aber dann ließ er es sein, um die Konzentration nicht zu stören.
    »Das wissen wir noch nicht.«
    »Und wie kam er in die Wohnung?«
    »Das wissen wir auch noch nicht. Allerdings ist das Schnappschloss an der Haustür kaputt, es klemmt manchmal, und dann bleibt die Tür nur angelehnt. Das hat uns eine Nachbarin erzählt, wir haben es nachgeprüft, es stimmt. Um in die Wohnung zu kommen, muss ihm jemand die Tür aufgemacht haben. Oberfellner, wer sonst?«
    Stern stand auf, streckte seinen Rücken und warf einen schnellen Blick auf die Uhr an der Wand: Zwölf Uhr siebzehn. Die Kollegen, die auf der Suche nach Vogel waren, hatten sich immer noch nicht gemeldet. »Das bedeutet, Oberfellner lässt Vogel in die Wohnung, und es kommt zum Streit. Vermutlich über Raphael, Vogel will wissen, was passiert ist, Oberfellner sagt es ihm, aber Vogel glaubt ihm nicht. Ein Messer kommt ins Spiel, vermutlich ein Küchenmesser, denn in der Küche ist eine Schublade aufgerissen, und es fehlt offensichtlich ein Messer. Die Tatwaffe ist jedenfalls verschwunden. Die Auseinandersetzung eskaliert, Oberfellner wird verletzt, er bricht zusammen, kriecht über den Boden, ruft nicht um Hilfe. Zumindest hat niemand was gehört. Vogel verschwindet. Und wird von der Nachbarin gesehen. Zu diesem Zeitpunkt muss Oberfellner noch gelebt haben. Er bleibt im Wohnzimmer, klammert sich an die Couch, macht nicht das Fenster auf, ruft nicht um Hilfe. Er schleppt sich nicht zum Telefon, nicht bis an die Wohnungstür, um sich im Treppenhaus bemerkbar zu machen. Er tut nichts. Er stirbt. Zwei Stunden später klopft die Nachbarin, die Vogel gesehen hat, an seine Tür, und er öffnet nicht. Sie macht sich Sorgen, holt den Hausmeister, und der öffnet mit dem Ersatzschlüssel die Wohnungstür. Wie finden Sie diesen Abriss der Ereignisse?«
    »Seltsam«, sagte einer.
    »Sehr seltsam«, sagte ein anderer.
    »Wir haben keine Blutspuren im Treppenhaus gefunden, wie ist das möglich?«, fragte ein Dritter.
    »Wenn Vogel mit dem Messer auf Oberfellner losgegangen ist, dann muss er mit Blut in Berührung gekommen sein«, sagte Stern. »Vielleicht hat er es sich im Bad abgewaschen, wir müssen auf

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