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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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das Ergebnis der Spurensicherung warten.«
    »Wenn es ungefähr so war, wie Sie sagen, Chef, dann müssen wir Mord ausschließen. Dann ist Vogel nicht in der Absicht gekommen, Oberfellner zu töten, sondern um ihm eine Lektion zu verpassen, ihn zur Rede zu stellen.«
    »Falls die Tatwaffe tatsächlich ein Küchenmesser ist, das aus der Küche von Frank Oberfellner stammt«, sagte Stern.
    »Der Doktor meinte, es könnte ein Küchenmesser gewesen sein, so ein scharfes, das man zum Fleischschneiden verwendet.«
    »Ja«, sagte Stern. »Und Fleisch ist ja damit auch geschnitten worden.«
    Einige grinsten, andere lehnten sich zurück, verschränkten die Arme hinter dem Kopf und entspannten sich. Es war Zeit für eine Unterbrechung des Brainstormings, zu dem Stern seine Kollegen immer dann zusammenrief, wenn die Komplexität eines Falles mehr Phantasie erforderte als nur die Analyse der Fakten.
    Der Leiter der Mordkommission packte ordentlich schwarzen Tabak auf das weiße Zigarettenpapier.
    Einer der Polizisten öffnete ein Fenster.
    »Glaubst du, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem toten Oberfellner und dem Jungen, der schon wieder verschwunden ist?«, fragte Hauptkommissarin Nadine Bach, die einzige Frau in der Gruppe.
    »Vielleicht«, brummte Stern und leckte den Klebestreifen ab. »Wenn wir den Vater haben, werden wir’s wissen.«
    Er zündete sich die Zigarette an, und Nadine betrachtete sie.
    »Perfekt gepfriemelt«, sagte sie, »du bist ein Meister deines Fachs, Rudi.« Sie nannte ihn Rudi, in Anspielung auf Rudi Dutschke und die seligen sechziger Jahre; außer ihr durfte sich das sonst niemand im Dezernat erlauben.
    »In den kleinen Dingen bin ich manchmal groß«, sagte Stern, und seine Erfahrung als Kriminalist ließ ihm keinen Zweifel daran, dass die beiden Fälle miteinander in Verbindung standen. Und dass für ihre Lösung mehr als die üblichen sorgfältigen, routinemäßigen Ermittlungen erforderlich sein würden.
    Und das beunruhigte ihn.
     
    In der achten Kneipe, die sie auf der Suche nach ihm betraten, sahen sie ihn am Tresen sitzen. Die struppigen Haare fielen über seinen Hemdkragen, und das weiße, enge Hemd klebte ihm am Körper. Ununterbrochen wippte er mit dem linken Bein, sein Kopf bewegte sich auf und ab, hin und her, auf und ab; welchem Rhythmus auch immer er folgte, es war nicht der der Schlagermusik, die durch den kleinen Raum schallte. Thomas Vogel, der gerade seinen dritten Wodkatonic bestellte, war der einzige Gast in dieser dunklen Nachtbar, die sich in der Arnulfstraße gegenüber dem Hauptbahnhof befand.
    Vermutlich folgte der Rhythmus dem Tanz des Alkohols in seinem Blut.
    »Herr Vogel? Ich bin Oberkommissar Josef Braga, das ist mein Kollege Sven Gerke. Herr Vogel?«
    Tamara, die Wirtin mit dem runden Gesicht und dem viel zu engen Kleid, stellte einen Wodkatonic vor Vogel auf die Theke und sah die beiden Polizisten abschätzig an. »Die Herren auch was?«
    »Nein«, sagte Gerke. Wegen ihrer Größe mussten sie sich bücken, um Tamara ins Gesicht sehen zu können.
    Bis Vogel seinen Kopf herumgedreht hatte, vergingen viele Sekunden.
    »Ja«, sagte er.
    »Wir möchten Sie bitten, mitzukommen, wir haben einige Fragen an Sie.«
    »Fragen Sie mich«, lallte er, griff nach dem Glas, stieß mit der Hand dagegen und warf es um. Der Inhalt ergoss sich über Tamaras Ärmel, die sich, nach vorn gebeugt, auf den Tresen stützte.
    »Schuldigung«, sagte Vogel.
    »Mann, ist das ärgerlich! Pass doch auf!« Sie schüttelte den Arm, ließ heißes Wasser laufen und hielt ein Tuch darunter, mit dem sie ihr Kleid abwischte.
    »Bitte kommen Sie!«, sagte Gerke.
    »Ihr Schnurrbart is viel schöner als meiner«, sagte Vogel, und seine Augen kamen nicht mehr los von den nach oben gezwirbelten Enden des dezernatbekannten Schnäuzers.
    »Wir sind den ganzen Vormittag auf der Suche nach Ihnen gewesen, jetzt langt’s!«, sagte Braga und packte ihn am Arm.
    »Sofort loslassen!«, rief Vogel, machte sich frei und drehte sich weg. »Ich hab nichts getan, also weg da!«
    »Niemand behauptet, dass Sie was getan haben«, sagte Gerke, während sich Braga bückte, um die Jacke, die Vogel über die Lehne des Barhockers gehängt hatte, abzutasten. »Sie sollen nur als Zeuge vernommen werden. Nur als Zeuge, Herr Vogel.«
    »Was machen Sie da?«, rief er und streckte seinen Arm in Richtung Tamara aus, die den Ärmel ihres Kleides hochgeschoben hatte und die Wodkatonicpfütze mit einem Schwamm aufwischte. »Gib mir noch

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