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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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laut, das war ein Erlebnis gewesen. Aras brauchte nichts zu bezahlen, der Wirt war sein Onkel. Dafür nahm Raphael seinen Freund in den Keller zur großen Eisenbahn mit, an die durfte eigentlich niemand ran, außer sein Opa und er. Aras hatte genauso gestaunt wie Raphael in dem Dönerladen. Also waren sie quitt.
    Die Autotür wurde aufgerissen, und ein würziger Duft wehte herein.
    »Entschuldige, es hat länger gedauert. Schau mal, ich hab uns was zu essen mitgebracht.«
    August Anz hielt Raphael einen mit Papier umgewickelten Döner Kebab hin, und der Junge nahm ihn in beide Hände.
    »Und, Hokuspokus Fidibus!« Mit der anderen Hand zauberte Anz eine große Schale Pommes frites hervor. »Ketchup hab ich keins, das ist ungesund, zu viel Zucker drin.«
    Für sich hatte er ebenfalls einen Döner besorgt, den er umständlich in der Hand hielt, während er die Tür zumachte.
    Raphael saß auf dem Rücksitz und pickte die Fleischstücke mit den Fingern aus dem Brot.
    »Wir kriegen ein neues Auto, Raphael, das ist besser als diese Kiste hier. Und damit fahren wir dann weiter. Was sagst du dazu?«
    Weil er keine Antwort bekam, schaute er in den Rückspiegel. Raphael wich seinem Blick aus.
    »Freust du dich nicht?«, fragte er.
    »Doch«, sagte Raphael und nahm sich ein Pommesstäbchen aus der Schale, die ihm Gustl hinhielt. »Nimm noch mehr, so viel wie du auf die Hand bringst.«
    »Nein danke«, sagte Raphael.
    »Tut mir wirklich Leid, dass es so lang gedauert hat«, sagte Gustl. »Ich musste vorsichtig sein, niemand darf mich sehen, uns beide, ich muss auf der Hut sein. Und das bin ich! Glaubst du mir das?«
    »Weiß nicht«, sagte Raphael und passte auf, dass nichts aus dem Papier tropfte. Aber es war gar keine Sauce in dem Döner Kebab drin.
    »Das war eine schöne Fahrt, stimmt’s? Fünf Stunden Musik und freie Autobahn, das war doch toll, oder?«
    Raphael blieb stumm. Sie aßen wortlos.
    Eine Straßenbahn fuhr vorbei, Jugendliche mit großen struppigen Hunden bettelten Passanten an, und der Wind fegte Zeitungen über die Straße.
    »Fahren wir jetzt weiter?«, fragte Raphael und reichte den halb gegessenen Döner nach vorn.
    »Magst du nicht mehr?«
    Raphael schüttelte den Kopf. »Fahren wir gleich weiter?«
    »Nein, wir müssen noch warten.«
    »Warum denn?« Er schaute Gustl böse an.
    »Weil ich das Auto erst in der Nacht kriege, das geht nicht vorher. Es war schwer genug, überhaupt eine andere Kiste zu bekommen. Aber dann fahren wir gleich los, das versprech ich dir.«
    »Versprich es!«
    »Ich versprech’s!«

15
    Südens Reise nach Norden
    I n keiner Nachrichtensendung an diesem Sonntagnachmittag fehlte ein Bericht über den neunjährigen Raphael Vogel, der innerhalb von drei Wochen zum zweiten Mal von zu Hause weggelaufen war, und diesmal mit der Absicht, sich etwas anzutun, wie die Polizei wörtlich mitgeteilt habe. Gleichzeitig wurde ausführlich der Fall des ermordeten Friedhofsgärtners Frank Oberfellner geschildert, der in einer nach wie vor dubiosen Verbindung mit dem Jungen stehe und nun möglicherweise von dessen Vater erstochen worden sei. Die ehemalige Opernsängerin Oda Hottrop sagte zu Journalisten, dies sei ein unglückseliger Tag, da sich Saturn und Venus in einer unheiligen Konstellation befänden, was auf bestimmte Menschen einen negativen, ja zerstörerischen Einfluss habe; im Übrigen habe sie Herrn Oberfellner sehr gut gekannt, und es sei unverschämt, ihn als Kindsentführer zu bezeichnen, er sei zu den Nachbarskindern stets freundlich und liebevoll gewesen; dieser Thomas Vogel dagegen sei ein fieser Typ, richtig gemeingefährlich, mit einer Mördervisage.
    Sonja Feyerabend schaltete das Autoradio ab und hielt an einer Ampel.
    »Was ist mit dir?«, fragte sie.
    Tabor Süden saß auf dem Rücksitz wie meistens, wenn er in einem Auto mitfuhr und nicht gestört werden wollte, und blickte schweigend aus dem Fenster, schon während der Fahrt, seit sie die Wohnung von Kirsten Vogel in Pasing verlassen hatten.
    Bald darauf parkte sie im Hof des Dezernats und nahm – warum, wusste sie nicht – Südens Hand, während sie zur Tür gingen.
    Im Treppenhaus begegneten sie Volker Thon, der mit einem Aktenordner auf dem Weg zu Karl Funkel war; sein seidenes Halstuch lugte dezent aus seinem gestärkten Hemdkragen.
    »Das hat ja ewig gedauert!«, sagte Thon. »Ich möchte euch beide sofort sprechen, wir müssen alle Akten nochmal durchgehen, es muss darin einen Hinweis geben, wo der Junge steckt.

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