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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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seiner Augenklappe immer etwas hermachte. Funkel erklärte, er gehe im Moment nicht von einem Verbrechen aus und appellierte an den Jungen, noch einmal bei seinen Eltern oder der Polizei anzurufen, jeder habe Verständnis dafür, dass der Tod seines geliebten Großvaters ihm sehr wehtue und jeder ihm helfen wolle, den Schmerz zu lindern; in den Interviews hatte Funkel darauf geachtet, die Eltern nicht zu stark in den Vordergrund zu stellen, da er befürchtete, Raphael würde sich dann auf keinen Fall melden. Keinem Reporter war es gelungen, Kirsten oder Thomas Vogel zu sprechen – Funkel hatte den beiden verboten, der Presse Auskünfte zu geben, und sie hatten sich tatsächlich daran gehalten, womit er nicht gerechnet hatte. Dagegen sagte ein ehemaliger Kollege von Vogel, der Kaufhausdetektiv Roland B., zu einem Journalisten, er wundere sich nicht, dass der Junge abgehauen sei, schließlich habe sein Alter ihn dauernd verprügelt.
    »Das wird in den nächsten Tagen so weitergehen«, sagte Weber und warf den Packen Zeitungen, die er am Pasinger Bahnhof gekauft hatte, auf den Rücksitz des weißen Golfs, den Sonja jetzt vor einer Pilsstube im Stadtteil Ramersdorf parkte. »Wenn der Bub bis morgen nicht da ist, kriegen die Zeitungen ihr Sommerloch gut voll.«
    Sie gingen auf die erleuchtete Eingangstür eines Lokals zu. Es war kurz vor halb elf Uhr nachts, und es fiel dünner kalter Regen.
    Sonja Feyerabend und Paul Weber glaubten nicht, dass sie
Bei Susi
einen Hinweis auf Raphaels Versteck finden würden, aber der verstorbene Georg Vogel war nun einmal die stärkste Bezugsperson des Jungen gewesen, und Susanne Klein, die sie auf der Beerdigung getroffen hatten, war wiederum eine Bezugsperson von Vogel senior, also mussten sie der Spur nachgehen.
    »Grad hab ich’s in der Zeitung gelesen«, sagte Frau Klein, eine Frau Mitte vierzig mit rot getönten Haaren und Lachfalten um den Mund, »und ich hab mir schon den ganzen Tag den Kopf darüber zerbrochen, wo der arme Junge sein könnte.«
    »Und?«, fragte Weber und verspürte das Verlangen nach einem schäumenden, eisgekühlten Weizenbier.
    »Ich hab keine Idee, wollen S’ was trinken?«
    »Ein großes Wasser«, sagte Sonja und hätte lieber ein Bier bestellt. Was sie daran hinderte, war nicht ihr Pflichtbewusstsein, sondern die Tatsache, dass sie nach einer Halben todmüde wurde.
    »Und Sie?« Frau Klein wartete auf Webers Bestellung, der sich das Kinn rieb und umsah. An zwei Tischen saßen jeweils zwei Männer und nebelten sich mit Zigarettenrauch ein. Beim Durchgang zu den Toiletten traktierte ein jüngerer Mann mit kurzen Faustschlägen einen Spielautomaten.
    »Cola mit Eis«, sagte Weber.
    »Du kannst ruhig ein Weißbier trinken«, sagte Sonja. »Ich fahr sowieso.«
    Sofort drehte er sich zur Wirtin um. »Entschuldigung! Ich will doch lieber ein Weizen!«
    Dann nahmen sie auf den Barhockern Platz und unterhielten sich mit Frau Klein über Raphael und dessen Eltern und kauten ein paar Möglichkeiten durch, wo der Schüler stecken könnte. Alles, was Susanne Klein einfiel, hatten auch die Polizisten bereits in Erwägung gezogen, und sie kamen auf keine neue Idee.
    »Die Evelin hat mir erzählt«, sagte Susanne Klein zum Abschied, als sie sich vor der Tür unter das schmale Vordach zwängten, damit der Regen sie nicht erwischte, »sie hat den Schorsch öfter eingeladen in ihre Heimat – die stammt doch aus dem Norden, Niedersachsen oder so, und er hat versprochen, mal mit ihr hinzufahren und seinen Enkel mitzunehmen. Das hat sie zu mir gesagt.«
    Evelin Sorge war die zweite Frau, die von Thomas Vogel bei der Beerdigung seines Vaters ignoriert worden war. Sie wohnte in Sendling, und Sonja und Weber beschlossen, zu ihr zu fahren, obwohl sie am Vormittag in der
Brecherspitze
versprochen hatte, sofort anzurufen, falls Raphael bei ihr auftauchen sollte.
    »Ich hab Ihnen doch gesagt, ich wär die Letzte, bei der Raphael Zuflucht suchen würde, wieso auch?« Evelin Sorge war schon im Bett gewesen, sie trug einen weißen knielangen Morgenmantel, unter dem sie nackt war, was Paul Weber, als er es bemerkte, seltsam beunruhigte. Sie setzte sich direkt neben ihn aufs Sofa.
    Er roch ihr Parfüm und spürte die Wärme ihrer Haut. Beides trieb ihm das Blut nicht nur in die Ohren, die rot anliefen; eine Erregung, die er sich nicht mehr zugetraut hatte.
    Evelin war zweiundvierzig und hatte ein schmales, fein geschnittenes Gesicht und breite Hüften; bei der Beerdigung hatte sie

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