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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sich vor und sah ihn von der Seite an. »Ja, geliebt hab ich ihn, aber ich hab mir keine Hoffnungen gemacht. Er war, wie er war, er lebte für sich, er war ein Tüftler, ein verschrobener Kerl, erstaunlich, dass seine Frau es elf Jahre mit ihm ausgehalten hat.«
    »Wahrscheinlich hat sie ihn auch geliebt«, sagte Weber. Sonja zog die Stirn in Falten.
    »Wahrscheinlich«, sagte Evelin. »Möchten Sie einen Cognac oder ein Glas Wein? Ich hab Ihnen gar nichts angeboten, verzeihen Sie!«
    »Was machen Sie beruflich, Frau Sorge?«, fragte Sonja und schnitt Weber das Wort ab, der dabei war, Evelin zu antworten.
    »Ich bin Krankenschwester«, sagte sie, »im Schwabinger Krankenhaus.«
    »Da ist meine Frau gestorben«, sagte Weber, und es klang so sachlich und nüchtern wie eine Aussage über irgendeinen Fall, den sie bearbeiteten.
    Mehrere Sekunden vergingen. Evelin Sorge schlang ihren Morgenmantel enger um sich, als wäre ihr kalt. Sonja steckte ihren Block ein und betrachtete ihren Kollegen. Niemand sagte etwas. Dann holte Sonja ihr Handy hervor und rief im Dezernat an.
    »Volker, ich bin’s, Sonja. Ist der Junge aufgetaucht? Und die Hundertschaft? Okay. Hinweise? Wir kommen zurück.«
    Weber sah zu ihr hinüber, und sie schüttelte den Kopf. Dann stand er auf und blieb noch einen Augenblick zwischen Sofa und Tisch stehen. Evelins Duft, den er unmerklich einsog und genoss, erregte ihn nicht mehr, dieser Duft verwandelte ihn in ein Wrack.
     
    Durchs Schlüsselloch sah er das Licht im Flur, und er machte keinen Mucks. Der Mann hatte ihn mit einem Schlafsack zugedeckt und zu ihm gesagt, er würde sich über Nacht was einfallen lassen. Das war gut. Denn er war müde, und die Beine taten ihm weh, er wollte nur noch daliegen und ganz schnell einschlafen. Es war ihm egal, ob seine Mutter sich wegen ihm Sorgen machte, und seinen Vater hatte er nur deshalb angerufen, um ihn zu ärgern, und dann war er nicht mal selber dran gewesen, sondern bloß diese blöde Kuh, die er nicht leiden konnte. Jetzt war er hier, und das war schön. Und über Nacht würde sich Gustl schon was einfallen lassen. Gustl war schlau, er hatte immer eine Idee, und er hatte ihn in seinem Auto versteckt, als die Polizisten auf den Friedhof kamen, und die hatten ihn nicht bemerkt; das war schlau von Gustl. Das orangefarbene Auto mit der Ladefläche haben die Polizisten gesehen, aber sie haben nicht mitgekriegt, dass er, Raphael, im Führerhaus saß und sogar zum Fenster rausschaute, unter Gustls Arm durch, hat niemand gemerkt.
    Er drehte sich auf den Rücken und zog den Schlafsack bis zum Kinn. Ob er den Freund von Gustl auch mochte, wusste er noch nicht genau, der stank aus dem Mund und rülpste dauernd; die beiden waren Freunde, und sie arbeiteten zusammen auf dem Friedhof, und sie hatten was gegen die Polizei, das war gut. »Gutnacht«, sagte Raphael und schloss die Augen. Eine Minute später schlief er so fest, dass er nicht mitbekam, wie die beiden Männer im Flur miteinander stritten.
    »Du bist einfach eine feige Sau, Frank, das ist alles, eine feige Sau bist du, ganz genau!«, rief Gustl Anz und schob seinen Freund zur Wohnungstür. Frank Oberfellner, neunundfünfzig und zehn Jahre älter als sein Kumpel, stolperte über ein Paar Gummistiefel und schrammte mit der Schulter an einem Metallkasten entlang, der an der Wand hing. »Und jetzt hau ab! Und wehe, du gehst zur Polizei, wehe!«
    »Hör doch mal, Gustl, du kannst doch den Buben nicht hier behalten! Das ist Kidnapping, das ist eine Entführung, eine Kindsentführung ist das, willst du wieder in den Knast, du Arschloch?« Er rülpste, und Gustl schlug Frank mit der flachen Hand auf die Stirn, dass sein Freund mit dem Hinterkopf gegen die Tür krachte.
    »Der ist freiwillig bei mir, der Kleine, und du hast ihn genauso vor den Bullen versteckt wie ich. Also red keinen Scheiß!«
    »Vor den Bullen versteckt! Das ist ja was anderes. Logisch versteck ich den vor den Bullen, damit sie ihn nicht kriegen, das ist doch logisch. Aber ich entführ ihn nicht. Was du da machst, ist Wahnsinn, Gustl, und ich häng jetzt auch mit drin, Scheiße!«
    »Schrei nicht so rum, der Kleine will schlafen«, sagte Gustl, drehte den Schlüssel herum und machte die Tür auf. »Hast du vergessen, was er uns erzählt hat? Wie ihn sein Vater verprügelt und wie seine Mutter ihn einfach aussperrt, wenn er zu spät kommt? Hm?« Er flüsterte jetzt, und Oberfellner tastete im dunklen Hausflur nach dem Lichtschalter. »Und dass er

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