Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
ärmellosen Unterhemd und einer Trainingshose bekleidet war.
    Funkel zeigte ihm seinen Ausweis. Martin Heuer sah hinauf ins grell erleuchtete Treppenhaus, in dem es modrig roch. Dann stieg er die knarzenden Stufen nach oben. Sonja folgte ihm.
    »Dürfen wir mal Ihren Ausweis sehen?«, fragte Thon, der heute einen weißen Pullover mit V-Ausschnitt trug und darüber ein dunkelblaues Leinensakko, das er zugeknöpft hatte.
    »Moment«, sagte der Mann und verschwand in einem Zimmer, das direkt neben der Wohnungstür lag.
    Im ersten Stock klopfte Heuer an eine Tür. Niemand öffnete, und er hämmerte zweimal laut dagegen.
    »Da ist jemand drin«, sagte Sonja leise. In der Wohnung scharrten Schuhe über den Boden, ein Klirren war zu hören und das aufgeregte Atmen von jemandem, der direkt hinter der Tür stand und abwartete. »Bitte machen Sie auf, Kriminalpolizei.«
    Nichts passierte. Heuer gab Sonja ein Zeichen, und sie stellten sich rechts und links neben die Tür. Er entsicherte seine Pistole, die er in einem braunen Lederhalfter bei sich trug. Sonja war unbewaffnet wie Karl Funkel, der sich überwinden musste, überhaupt zu den vorgeschriebenen regelmäßigen Schießübungen anzutreten.
    »Bitte machen Sie die Tür auf!«, sagte Heuer.
    Von unten waren Stimmen zu hören, Funkel und Thon unterhielten sich mit dem türkischen Mieter, der offenbar keine Ahnung von Gunter Blum hatte, was er lautstark mehrmals wiederholte.
    Im Türschloss drehte sich ein Schlüssel, und langsam wurde die Tür geöffnet. In diesem Moment ging das Licht im Treppenhaus aus, und da es in der Wohnung ebenfalls dunkel war, sah Sonja, die einen Schritt nach vorn machte und ihren Ausweis hochhielt, nur noch die Silhouette eines kleingewachsenen Mannes, der mit beiden Händen die Türklinke umklammerte.
    »Sonja Feyerabend, Kriminalpolizei, wir …«
    Dann spürte sie einen Schlag im Gesicht, eine flache kalte Hand, die ihren Kopf nach hinten bog, und sie taumelte gegen das Geländer. Jemand huschte an ihr vorbei und rannte die Treppe hinauf. Das Licht ging wieder an, und der kleine Mann in der Tür zitterte und blickte mit großen schwarzen Augen zur Treppe, auf der die andere Person verschwunden war.
    »Die Straße sichern!«, schrie Heuer seinen Kollegen im Erdgeschoss zu, riss die Pistole aus dem Halfter und stürzte die Treppe hinauf.
    »Wer ist das?«, fragte Sonja und schlug gegen die Tür, so dass der Mann erschrocken die Klinke losließ und seine Hände faltete.
    »Bitte nicht, bitte nicht …« stammelte er.
    »Wer ist da abgehauen?« Ihre Stimme wurde lauter. Im Erdgeschoss schlug eine Tür.
    »Bitte nicht … Mein Bruder, mein Bruder …«
    »Warum läuft er weg?«
    Der Mann sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Das lilafarbene Hemd hing ihm aus der Hose, er war barfuß und roch nach Shampoo, was Sonja kurios vorkam, ohne dass sie hätte sagen können, warum. In der Wohnung hing der Duft von Gewürzen und Tee.
    »Mein Bruder … Bitte nicht …«
    »Kann ich reinkommen?« Sie ging einfach an ihm vorbei. Er wollte die Tür schließen. »Offen lassen!«, befahl sie. Und er gehorchte und trippelte hinter ihr her in eine winzige, von Geschirr, Kleidern und Plastiktüten überquellende Küche. Auf dem Tisch stand ein bunt verzierter Samowar mit einem dampfenden Teekessel.
    »Bleiben Sie stehen! Wenn Sie nicht stehen bleiben, werde ich schießen!«, rief Heuer und stieg, so schnell er konnte, die Feuerleiter hinunter. Der Mann, der vor ihm weglief, trug eine Wildlederjacke mit weißem Pelzkragen, den er hochgeschlagen hatte, eine olivgrüne Militärhose und eine Wollmütze; im zweiten Stock war er aus dem schmalen Treppenhausfenster gestiegen und gewandt wie eine Katze die Eisenleiter hinuntergeklettert. Jetzt rannte er über den Hinterhof, sprang auf einen Müllcontainer, rutschte aus, hielt sich mit einer Hand fest, schwang sich auf die Mauer, die das Grundstück von der Straße trennte, und ließ sich auf der anderen Seite hinunterfallen.
    Während er ihm quer über den Platz hinterhergelaufen war, hatte Martin Heuer einen schnellen Blick zur Einfahrt geworfen, wo er seine Kollegen vermutete; doch das Tor war verschlossen.
    Zwischen den Containern entdeckte er ein Fahrrad. Er stellte es vor die nasse, etwa zwei Meter fünfzig hohe Mauer, stieg auf den Sattel, machte einen Satz in die Höhe und krallte sich an der Kante fest. Schnaufend zog er sich hoch, kniete sich oben hin und blickte nach unten: ein zweiter geteerter

Weitere Kostenlose Bücher