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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Hinausgehen ließ er die Tür offen und wäre um ein Haar mit Tabor Süden zusammengestoßen, der gerade die Treppe heraufkam.
    »Mit dir muss ich sofort reden!«, stieß Thon hervor und hastete die Treppe hinunter, indem er Süden am Arm packte und ihn mit sich zerrte.
    Im Saal prasselten die Fragen auf Funkel herab. Er wartete, bis es kurzfristig still wurde. Dann schüttelte er den Kopf und stand auf.
    »Bisher gehe ich nicht davon aus, dass dem Jungen etwas zugestoßen ist«, sagte er. Und in einem Sturm unverständlicher, sich überschlagender Sätze verließen er und Weber den Saal.
    Zwei Polizisten blieben vor der Tür stehen und achteten darauf, dass kein Journalist unerlaubt ein Zimmer des Dezernats betrat.
    Inzwischen entluden sich die Aggressionen, die Thon aus der Pressekonferenz mitgebracht hatte, in Gegenwart seines Kollegen Tabor Süden.
     
    »Den bring ich um, ich mach den alle!«, schrie er, verpasste dem Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, einen Fußtritt und packte seine Freundin an der Schulter. »Ich fahr jetzt da hin, und dann mach ich ihn fertig, dieses Schwein! Wo ist deine Pistole, wo ist die Knarre, verflucht!«
    Thomas Vogel schüttelte seine Freundin, der Unterrock rutschte von ihrem mageren Körper, und sie war nackt.
    »Weiß nicht«, hauchte sie, »in Schrank vielleicht, wo Wäsche ist, draußen in Flur, in Flur, Thomas, bitte hör doch auf!«
    Er ließ sie los, stapfte in den Flur, riss die Truhe auf, die voller Pullover und Jacken war, steckte seine Hand hinein und tastete den Boden ab. In einer Ecke fand er die Pistole, sie war geladen.
    »Und du gehst nicht weg, kapiert? Ich bin bald wieder da. Ich bring ihn um, das garantier ich dir!«
    »Du nicht weiß, wo er ist«, sagte sie und strich den Unterrock, den sie wieder angezogen hatte, glatt.
    »Quatsch nicht! Der Bulle hat gesagt, er ist im Haus, also bei denen. Hast du das nicht gehört? Hörst du nicht zu, wenn Nachrichten sind?«
    Er zog sich die Jacke an, schlug die Tür zu, als er draußen im Hausflur war, und hämmerte noch einmal mit der flachen Hand dagegen. Im Treppenhaus roch es nach Knoblauch und Fisch, und er spuckte angeekelt auf den Boden.
     
    So sehr sie sich auch anstrengten, es war ihnen unmöglich wegzuhören; die Tür zum Nebenzimmer war angelehnt, und die Stimme von Volker Thon dröhnte herüber. Er hörte überhaupt nicht mehr damit auf herumzubrüllen, und die unfreiwilligen Zuhörer nebenan begannen sich zu fragen, wann sich ihr Kollege endlich zur Wehr setzen werde.
    Doch Tabor Süden stand nur da und hörte zu. Wild gestikulierend ging Thon auf und ab, blieb abrupt stehen, holte Luft, und marschierte weiter.
    »Die Leute sagen, ich bin ein geduldiger Mensch, und das bin ich auch. Aber du nervst mich, und das lass ich mir nicht gefallen. Du bist neun Monate von der Bildfläche verschwunden, und am ersten Tag, an dem du wieder im Dienst bist, treibst du dich in der Stadt rum, weil dein Kumpel mal wieder eine Krise hat. Sag mal, willst du mich verarschen, Tabor? Wir haben hier einen Vermisstenfall am Hals, der uns vierundzwanzig Stunden fordert, uns alle, jeden Einzelnen, und du seilst dich einfach ab und gehst auf einen Egotrip? Am ersten Arbeitstag nach neun Monaten egomanischer Abwesenheit? Spinnst du? Bist du besoffen? Bist du high? Bist du nicht mehr ganz dicht? Woher weiß die Presse, dass du den ganzen Tag in der Stadt warst und Lokale abgeklappert hast, woher? Was bildest du dir ein? Wir sind hier kein Therapiezentrum, Mann! Das ist keine offene Psychiatrie hier, das ist ein Dezernat, hier arbeiten tüchtige und gesunde Leute, die ein Team sind, verstehst du, ein Team! Eine Mannschaft, hier wird kooperiert, da rennt einer nicht einfach weg, wenn ihm was nicht passt, da muss sich einer auf den anderen verlassen können, sonst funktioniert das System nicht, das können wir uns nicht erlauben, dass da einer dauernd quer schießt! Was ist los mit dir? Und mit dem Kollegen Heuer? Was ist los mit euch? Der Heuer ist genau das Gegenteil von dir, der arbeitet Tag und Nacht, schläft in Kneipen, weil er zu müde ist, nach Hause zu gehen, und steht am nächsten Morgen um sechs wieder auf der Matte. Ist das normal? Ich hab ihn beurlaubt, aber er ist nach drei Tagen wieder im Büro erschienen, er hat gute Arbeit geleistet, also hab ich mich nicht mehr eingemischt, aber das gefällt mir nicht. Und du? Du verkriechst dich im Wald. Ich hab gesehen, wie du lebst, ich hab deine Hütte gesehen, und ich hab

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