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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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schlafend, ein einfacher Trick, der wiederum keine Folgen gehabt hätte, aber plötzlich schlüpfte ihre Hand unter mein Hemd, und das alles, ohne dass sie die Augen öffnete, ohne mich anzusehen, ich versuchte meinerseits, ihr unter den Pullover zu fassen, aber sie nahm meine Hand mit einer müden, doch festen Bewegung weg, gab mir zu verstehen, dass sie es war, die entschied, wer hier wen befriedigte, und im Endeffekt hatte ich auch nichts dagegen. Sie war eine erwachsene Frau, mit zarter Haut und klugen grünen Augen, in Jeans und Pullover, mit eigener Vergangenheit und eigener Zukunft, zwischen die ich zufällig, aber sehr glücklich geraten war. Später dachte ich, dass das Leben gerade aus solchen Dingen besteht, aus geübten, leidenschaftlichen Bewegungen älterer Frauen, die uns erwachsen machten, uns mit all ihrem Können Liebe lehrten, damit wir Jungs aus der Plattenbausiedlung nicht etwa glaubten, dass im Leben nur Kampf und Rache Platz haben. Und danach war es unsere Aufgabe, sie zu beschützen, unsere älteren Frauen, sie vor Alter und Vergessen zu retten, uns nicht zurückzuziehen und sie nicht zu verlassen, wenn es ihnen mies ging. Wahrscheinlich haben die meisten von uns das nicht verstanden, als sie ihre Hingabe genossen, solche Dinge werden meist auf die leichte Schulter genommen und schnell wieder vergessen, niemand misst dem Verhältnis zu Frauen eine besondere Bedeutung bei, alle sind vollauf mit ihrem Verhältnis zu Leben und Tod beschäftigt, niemand weiß, dass ja sie, die Frauen, genau das sind: Leben und Tod. Auch ich wusste damals nichts davon, ich verstand nur, dass etwas Wichtiges, Ernstes mit mir passierte und dass weder die langsamen Tiere mit den Lampen auf den Köpfen, die in unsere Fenster blickten, noch die Freunde, die mich von Zeit zu Zeit im Schlaf beim Namen riefen, noch meine absolute Unbeweglichkeit und Hilflosigkeit dieses Wichtige und Ernste in Frage stellen konnten.
    *
    Ich zwang mich aufzustehen und in den Gang zu treten. Hinter den Fenstern stand dichter Nebel, durch den kaum das Sonnenlicht drang. Ich überquerte die Plattform, öffnete die Tür und fand mich im nächsten Wagen wieder. Das Licht blendete stark. Ich beschattete die Augen mit der Hand.
    Es war ein Speisewagen – eine Bartheke ganz hinten, mit einigen Hockern und Tischen, leer wie Winterfelder. Immerhin saßen an einem Tisch zwei Kerle – müde und schwerfällig, der eine im schwarzen Anzug, mit kurzen Haaren und Bart, der andere in einem schwarzen Militärpullover, ebenfalls kurz geschoren. Vor ihnen auf dem Tisch standen Gläser mit Kaffee, daneben lag eine gestutzte Kalaschnikow. Auf dem Hocker an der Bar saß ein weiterer Mann, in einer langen schwarzen Jacke, auch er trank Kaffee und blätterte in der Zeitung. Als sie mich sahen, fuhren sie zusammen. Die zwei am Tisch, die näher waren, standen auf, ohne mich aus den Augen zu lassen, und griffen gleichzeitig nach der Kalaschnikow. Ich versuchte, hinter meinem Rücken die Türklinke zu ertasten.
    – Stehengeblieben, – sagte der Bärtige. Er schnappte sich die Kalaschnikow zuerst. – Wer bist du?
    Mir fiel keine Antwort ein.
    – Wie bist du hier reingekommen? – fragte er weiter.
    – Ich bin aus dem nächsten Wagen, – erklärte ich. – Falsch zugestiegen.
    – Was, fuck, heißt hier falsch zugestiegen? – Der Bärtige glaubte mir zu Recht nicht. – Das ist ein Sonderzug, Bruder. Was machst du hier?
    – Also wie soll ich es erklären . . . Wir haben Kartons geladen. Ich bin eingeschlafen.
    – Bist du betrunken oder was?
    – Ich? Nö.
    Sie tauschten Blicke, offensichtlich wussten sie nicht, was tun.
    – Kolja! – rief plötzlich der Mann an der Bar.
    Der Bärtige schaute sich um.
    – Check ihn, – es klang eher nach einer Bitte, als nach einem Befehl.
    – Hände hoch, – sagte Kolja kurz, gab seinem Partner das Gewehr, trat an mich heran und durchsuchte mich mit geübten Griffen.
    So was habe ich doch schon mal erlebt, dachte ich. Gut, dass ich mich wenigstens umgezogen hatte, wie hätte ich ihnen erklärt, wozu ich eine Bosch-Elektroschere brauche.
    – Alles sauber, – rief Kolja und trat zur Seite.
    – Gut, – sagte der Typ an der Bar. – Raus mit euch, verfuckte Bodyguards. Und du, – sagte er zu mir, – komm her.
    Schon etwas beruhigter trat ich an die Bar. Der Typ nickte in Richtung eines freien Hockers. Ich setzte mich und wartete, was er sagen würde.
    Er war ungefähr in meinem Alter: graues Gesicht, böser

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