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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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stechender Blick, aber seine Bosheit war irgendwie unpersönlich, als trüge er Kontaktlinsen vom Typ »Böser Blick«. Er war glatt rasiert, so glatt, dass seine Haut an einigen Stellen am Hals rote Kratzer zeigte. Haare hatte er nicht viele auf dem Kopf, sie waren sorgfältig geglättet, der ganze Typ war wie geleckt, irgendwie demonstrativ gekämmt und gewaschen. Mir stach sofort seine Jacke ins Auge – eine lange AC -Mailand-Jacke, wie sie auch der einäugige Tolik trug, nur dass diese hier echt war. Der eine Jackenärmel war verschmiert, mit Blut oder roter Farbe. Unter der Jacke trug er einen teuren dunklen Anzug, eine dezente Krawatte und ein schneeweißes Hemd. Auf dem Tisch lagen russische Wirtschaftszeitungen. Endlich hatte er fertiggelesen, faltete das Blatt mit einer schnellen Bewegung in der Mitte, warf es auf den Tisch zu den anderen Zeitungen und glättete den Stapel mit seiner kleinen Hand, deren Fingernägel wie bei einem Chirurgen kurz geschnitten waren. Mir fiel außerdem sein sauberer Hemdkragen auf.
    – Wie heißt du? – fragte er und sah mir böse, aber uninteressiert in die Augen.
    – Hermann.
    – Hermann? Hast du einen Ausweis?
    Ich suchte in meinen Taschen und dankte im Stillen dem Versehrten.
    – Koroljow, – sagte er nachdenklich. – Der Name kommt mir bekannt vor. Wie kommst du hierher? Der Zug wird bewacht.
    – Ich weiß nicht, – antwortete ich. – Ich hab meinen Zug verpasst, bin hier aufgesprungen. Es war dunkel.
    – So so. – Er glaubte mir nicht. – Bist du wirklich nicht geschäftlich hier?
    – Wie das?
    – Na, vielleicht willst du was von mir.
    – Will ich nicht.
    – Wirklich? Alle wollen was von mir.
    – Nein, – versicherte ich ihm so überzeugend wie möglich, – ich will gar nichts von dir.
    – Echt? – fragte er wieder.
    – Echt.
    – Gut, dass ich nicht geschlafen habe, – sagte er, wieder nach kurzem Nachdenken. – Sonst hätten sie dich bei voller Fahrt rausgeschmissen. Ich kann nicht einschlafen, – beschwerte er sich, – immer, wenn ich hierherkomme, schlafe ich schlecht. Ich mag diese Gegend nicht. Wo wohnst du, Hermann?
    – Nicht weit von hier.
    – Bist du von hier?
    – Ja.
    – Und warum haust du nicht ab?
    – Wozu?
    – Um besser schlafen zu können.
    – Ich kann auch so gut schlafen. Habe die ganze Nacht im Nachbarwagen durchgepennt. Und ein Business habe ich hier auch. Wieso sollte ich wegfahren?
    – Ein Business? – Er horchte sofort auf. – Business ist gut. Willst du wirklich nichts von mir?
    – Ohne Scheiß.
    – Willst du was trinken? – schlug er plötzlich vor.
    – Warum nicht, – stimmte ich zu.
    Er rutschte vom Hocker und ging hinter die Theke. Die Bar sah ärmlich aus, als würde sie nicht oft benutzt, der Alk stand in lichter Reihe – diverse Schnäpse, Weine, eine Flasche Kognak, die er uns hinstellte. Er zog zwei Bahngläser mit Halterung hervor, kippte die Teelöffel aus und schenkte ein.
    – Ich komme nicht dazu, die Bar zu füllen, – sagte er und reichte mir ein Glas. – Jedes Mal, wenn ich wieder hier bin, nehme ich mir vor, einen ordentlichen Barkeeper anzuheuern, was Ordentliches zum Saufen zu kaufen, damit alles da ist. Und jedes Mal vergesse ich es. Zu viel Arbeit, – sagte er. Und trank.
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, deswegen trank ich auch. Es war irgendwie seltsam. Einerseits stand er da und schenkte mir ein wie ein Barkeeper, andererseits war es sein Kognak, und er bot mir nicht so sehr einen Service an, sondern erlaubte mir vielmehr, diesen Service zu nutzen. Er schaute mich durchdringend an, so dass ich mich nicht entspannen konnte.
    – Fahren hier viele Leute mit? – fragte ich ihn.
    – Warum fragst du? – Er horchte sofort wieder auf.
    – Einfach so.
    – Einfach so? Ich fahre hier alleine. Und die Bodyguards natürlich. Siehst du, nicht mal einen Barkeeper habe ich dabei.
    – Und keine Schaffner?
    – Keine Schaffner.
    – Aber wer kontrolliert die Fahrkarten?
    – Hermann, – sagte er. – Das ist mein Zug. Und ich bin es, der hier alle Fahrkarten kontrolliert.
    – Dein Zug? – wunderte ich mich. – Du bist also wie Trotzki – fährst mit dem eigenen Zug.
    – Da hast du Recht, – stimmte er zu.
    – Und wohin fährst du?
    – Wohin? – Er dachte nach, vielleicht überlegte er, ob er antworten sollte oder nicht. – Eigentlich nirgendwohin. Ich fahre hin und her, kontrolliere die Objekte.
    – Und wie wird dein Zug durchgelassen? Ich meine, wie wird er in

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