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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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auf uns. Er wunderte sich, mich zu sehen, sagte aber nichts, als hätte alles seine Ordnung.
    – Na, – sagte der Geleckte zu ihm.
    Der Bodyguard riss die Tür auf und trat zurück, damit der Geleckte eintreten konnte. Der Geleckte lugte hinein.
    – Alles wie gewünscht, – sagte der Wachmann.
    – Und was sollen wir jetzt machen? – fragte der Geleckte gereizt.
    Der Bodyguard zuckte ratlos die Schultern. Ich schaute ins Abteil. Dort stand am Tisch angebunden ein schwarzes Schaf und blickte misstrauisch irgendwo hinter unsere Rücken.
    – Fuck, – sagte der Geleckte, – Kolja, konntet ihr denn kein normales Fleisch kaufen?
    – Konnten wir nicht, Chef, – rechtfertigte sich Kolja, – hier gibt’s ja nirgendwo einen Markt, einfach nichts.
    – Na dann los, – sagte daraufhin der Geleckte, – du hast es herbeigeschleppt, also bereitest du es auch zu.
    – Ich? – Kolja schüttelte sich.
    – Na ich bestimmt nicht, – antwortete kalt der Geleckte, trat zur Seite, holte einen Zahnstocher heraus und fing an, zwischen seinen kleinen regelmäßigen Zähnen herumzustochern, als ob er Kolja zu verstehen geben wollte – ich warte, pass auf, dass du dir nicht in die Hose pisst.
    Kolja war aufgeschmissen. Man sah aber, dass er Angst vor seinem Chef hatte, also nickte er seinem bärtigen Partner zu, der brachte ein großes Brotmesser, und die beiden traten an das Tier heran.
    Das Schaf wirkte erstaunlich resigniert. Zunächst packten sie es an beiden Seiten, das Messer hielt Kolja, der aber nervös war und das unglückliche Tier eher ritzte und nicht stach. Missmutig versuchte es, sich zu befreien. Schließlich stach Kolja kraftvoll zu, das Schaf zuckte jäh, und Kolja flog zu Boden. Dann nahm sein Partner das Messer. Wie ein amerikanischer Marine einen gefangenen Talibankämpfer packte er das Tier am Hals, setzte die Schneide an die Kehle und zog scharf durch. Das Schaf schlug ruckartig mit dem Kopf, und der Wachmann fand sich auf der Liege wieder. Das Messer flog dem Geleckten vor die Füße.
    – Arschlöcher, – sagte der. – Könnt nichts richtig machen. Gib her, – wandte er sich an Kolja und zeigte auf das Halfter.
    Kolja gab ihm seine Makarow und verließ beleidigt das Abteil. Der Geleckte machte seine Jacke zu, löste die Sicherung und ballerte ohne zu zielen drauflos. Das Blut aus der Wunde spritzte in alle Richtungen, ergoss sich über die Jacke des Geleckten, der aber nahm keine Notiz davon und setzte nacheinander noch drei weitere Kugeln in das Tier. Dann kehrte die tönende Morgenstille zurück. Ich lugte ins Abteil. Der Geleckte stand blutverschmiert da und betrachtete sein Opfer. Dieses war erstaunlicherweise noch am Leben. Im Abteil roch es stechend nach Schießpulver und Gedärm.
    – Na, Hermann, – sagte der Geleckte, ohne sich umzudrehen. – Zu feige für den Gnadenschuss? Um seinem Leiden ein Ende zu setzen, – fügte er hinzu und reichte mir die Pistole.
    – Zu feige, – antwortete ich.
    – Wieso denn? – Er drehte sich ruckartig um. – Hast du Angst vor Blut? Und wie willst du frühstücken?
    – Mann, – sagte ich, – ich werde nicht mit dir frühstücken.
    – Nicht?
    – Nein.
    – Ihr seid alles Weicheier, – sagte daraufhin der Geleckte. – Alle. Ihr habt alle Angst vor Blut. Deswegen kriegt ihr hier nur Scheiße hin, nur Scheiße. Auch bei dir, Hermann, kommt nur Scheiße raus.
    – Ist schon okay, – antwortete ich.
    – Okay? – frage der Geleckte besoffen zurück. – Okay heißt okay. Also, du frühstückst nicht?
    – Nein.
    – Okay, – wiederholte der Geleckte. Kolja, ruf den Lokführer an, dass er halten soll. Der Passagier steigt aus. Nichts werdet ihr hinkriegen, – wiederholte er.
    – Du hast Blut am Kinn, – antwortete ich, – wisch es weg, es sieht unappetitlich aus.
    *
    Ich dachte zunächst, sie würden schießen. Aber die Wagen rollten davon, und die Schüsse kamen nicht. Bald war der Zug verschwunden, und nur der Geruch von warmem Eisen erinnerte daran, dass er hier überhaupt irgendwann gefahren war.

4
    Anfang Oktober sind die Tage kurz wie eine Fußballerkarriere, ölig zerfließt die Sonne über dem Kopf, beschwert die Schatten auf der Erde, erleuchtet das Gras und wärmt das zerschlagene Herz des Asphalts.
    Ich entfernte mich vom Bahndamm und schritt lange eine alte, fast ganz von Schilf eingeschlossene Landstraße entlang. Verwirrte Wespen flogen über den Weg, und warme Spinnweben verklebten mir Gesicht und Kleider, legten sich auf die

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