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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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brannte in seinem stillen Leib. Merkwürdig, dachte ich, wer fährt in solchen Wagen? Da aber hielt der Zug, von dem ich gerade abgesprungen war, ein Stück außerhalb des Bahnhofs. Das metallene Knirschen hallte in der Stille. Die Wagen hielten einen Augenblick und rollten dann langsam zurück zum Bahnhof. Ich kriegte Panik. Nichts wie weg hier. Ich drehte mich zum Bahnhofsgebäude um und sah plötzlich das Licht von Scheinwerfern, die aus der Nacht die Finsternis durchbrachen, sich näherten und den Raum ausleuchteten. Die Nacht füllte sich mit Stimmen und Schritten – hinter dem Bahnhofsgebäude kamen drei Eisenbahner hervor, sie schleppten schwere Kartons. Einer trug gleich drei davon und kam kaum voran. Als sie den heranrollenden Zug sahen, gingen sie schneller, die ersten beiden sprangen auf die Gleise, krochen auf den zweiten Bahnsteig und liefen nun die reglos Gespensterwagen entlang. Der dritte wagte nicht, mit drei Kartons vor die Räder zu springen, hielt einen Moment inne und entdeckte mich.
    – Bruder, – sagte er, – pack mal mit an.
    Ich lief zu ihm und packte einen Karton. Drin klirrten leise gefüllte Flaschen. Alk, verstand ich, Sekt oder trockener Wein.
    Der Träger war inzwischen ins Gleisbett gesprungen und versuchte, auf der anderen Seite hochzukommen. Ich sprang ihm nach. Die vom Staub graugrünen Waggons rollten heran, wir schafften es, hochzuklettern, und liefen unter den schwarzen Fenstern des zweiten Zugs entlang, den Schlingen und Fallstricken des Verkehrsministeriums entkommen.
    Die Tür des letzten Geisterwagens stand offen. Die Träger warfen ihre Kartons hinein und kletterten hinterher. Ich bot dem Letzten meine Schulter, half ihm beim Einsteigen und kroch mit meinem Karton hinterher. Sie standen im Gang und starrten in die Finsternis. Die Tür zum Schaffnerabteil war offen, der Schaffner selbst war nicht zu sehen, dafür trat ein Kerl mit einem zerschlagenen Gesicht und Schulterhalfter aus der Dunkelheit, wohl ein Wachmann. Nickte einem der Träger zu, los, folgt mir. Das erste Abteil war aufgesperrt. Der Mann mit dem Halfter trat ein. Wir zwängten uns hinter ihm hinein. Die Kartons stellten wir auf die oberen Liegen. Ich schlüpfte als Letzter hinein, es war sehr eng. Stemmte meine Ladung hoch und wusste nicht weiter. Machte einen Schritt zurück und fand mich im dunklen Gang wieder.
    – Tür zu, – sagte der Wachmann.
    Die Tür schloss sich vor meiner Nase, und ich blieb allein im Gang zurück. Aus dem Abteil drangen Stimmen. Man hatte mich offenbar vergessen. Drüben stand jetzt der andere Zug, Schatten huschten an den Fenstern vorbei, Schritte hallten dumpf auf den Plattformen. Ich ging den Gang entlang. Es war ein komischer Wagen, ganz ohne Passagiere. Die nächsten Abteile waren offen, vollgestopft mit allem Möglichen. In einem stand ein Kopiergerät auf dem Tisch, auf den unteren Liegen sah ich Broschürendruckmaschinen und Berge von Kopierpapier. Im nächsten Abteil lagen unter einem Tarnnetz Stöße von Zeitungen und Zeitschriften. Die anderen Abteile waren geschlossen. Ich ging durch bis zum letzten und zog an der Tür. Sie glitt leise zur Seite. Ich trat ein und sperrte von innen ab. Vom anderen Ende des Wagens erklangen Stimmen, auch die des Wachmanns, der die Träger etwas fragte, wahrscheinlich fragte er nach mir, ich konnte hören, wie er den Gang entlangkam, die Abteile checkte. Schon rüttelte er an der Tür des Nachbarabteils, sie war, wie erwartet, verschlossen. Kam zum letzten Abteil. Meinem. Zog am Griff. Die Tür gab nicht nach. Probierte noch einmal. Verschlossen. In Ordnung, – sagte er zu sich selbst. Er entfernte sich mit schweren, selbstsicheren Schritten. Die Stimmen verstummten, es wurde still. Ich legte mich auf die untere Liege, schloss die Augen und versank in den grünen Gruben des Schlafs.
    *
    Es war, als zögen Tiere an den Fenstern vorbei, dunkle Tiere mit Lampen auf den Schädeln, die Leiber bedeckt mit stachligem Fell, sie zogen vorbei und stießen warmen nächtlichen Dunst aus, blickten in die Fenster, blendend und fürchterlich. Das Licht, das ab und zu die Finsternis füllte wie frischer Gips die leeren Formen, stach in die Augen, verschwand sofort wieder und ließ die umliegende Schwärze dicht werden wie Brackwasser. Der Geisterzug, in den ich auf solch seltsame Weise geraten war, rollte bereits seit einigen Stunden gemächlich in unbekannte Richtung, immer weiter weg von den Ereignissen der letzten zwei Tage. Was blieb von dieser

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