Die Erfindung des Jazz im Donbass
schlief mit offenen Augen. Ich zog jäh die Luft durch die Nase ein. Der Morgen war bitter und hinterließ einen Nachgeschmack der Stimmen, die hier soeben geklungen hatten. Als sei soeben der Tod an mir vorbeigezogen. Oder ein Güterzug.
3
Am nächsten Morgen tranken wir von Kotscha gebrauten Tee, er erklärte mir, wie ich Olga, die Buchhalterin, finden könne, und setzte mich in einen Laster, der gerade bei ihm getankt hatte.
– Her mit deinem Gift, – sagte ich. – Zumindest werde ich fragen, was es ist, das du da nimmst. Wo hast du es gekauft?
– Am Platz, – antwortete Kotscha. – In der Apotheke.
*
Unten, gleich hinter der Brücke, begann eine Lindenallee, die Bäume standen am Straßenrand aufgereiht, die Sonne stieß durch die Blätter und blendete. Der Fahrer zog seine Sonnenbrille auf, ich schloss die Augen. Links ging ein Deich ab, der für den Fall eines Hochwassers gebaut worden war. Wenn im Frühling der Fluss über die Ufer trat, bildeten sich große Seen, manchmal brachen sie den Deich und überfluteten die städtischen Höfe und Gärten. Wir rollten in die Stadt, passierten die ersten Häuser und hielten an einer leeren Kreuzung.
– Okay, Kumpel, ich muss hier rechts, – sagte der Fahrer.
– Also dann, – antwortete ich und sprang in den Sand.
Die Straßen waren menschenleer. Wie in einer Strömung trieb es die Sonne langsam gen Westen. Sie bewegte sich über die Häuserviertel, wovon die Luft dicht und warm wurde und das Licht sich darin absetzte wie Flussschlamm. Es war der alte Teil der Stadt, mit ein- oder zweistöckigen Häusern aus roten, gesprungenen Ziegelsteinen. Die Trottoirs waren komplett mit Sand bestreut, in den Hauseingängen spross das Grün, als habe man die Stadt aufgegeben und sie wüchse nun mit Gras und Bäumen zu. Das Grün füllte alle Spalten und strebte leicht und zielstrebig an die Luft. Ich passierte die geöffneten Türen einiger kleiner Läden. Brot und Seife rochen heraus. Keine Ahnung, wo die Käufer waren. Vor einem Laden stand, an die Tür gelehnt, eine sonnengebräunte Verkäuferin in kurzem rotem Kleid. Die schweren, schwarzen Haare waren hochgesteckt, sie hatte große Brüste und gebräunte Haut, und aus der warmen Haut trat der Schweiß wie Tropfen frischen Honigs. Um den Hals trug sie Glasperlen und Ketten mit mehreren goldenen Kreuzen. An jedem Arm eine goldene Uhr, aber vielleicht habe ich mir das nur eingebildet. Ich grüßte im Vorübergehen. Sie nickte zur Antwort und musterte mich, erkannte mich aber nicht. Wie wachsam sie ist, dachte ich. Als warte sie auf jemanden. Ein paar Ecken weiter betrat ich das Telefonamt. Drinnen herrschten Dunst und Durcheinander wie in einem Aquarium, als Kunden standen zwei Stadtcowboys neben dem Kassenschalter, ihre Muscle-Shirts ließen die dicht tätowierten Schultern frei. Nachdem sich die Cowboys verzogen hatten, bezahlte ich die Telefonrechnung und trat wieder auf die Straße. Bog um die Ecke und erreichte über ein Gässchen mit geschlossenen Kiosken den Platz. Der Platz erinnerte an ein abgelassenes Schwimmbecken. Durch die vom Regen weiß gewordenen Platten wuchs das Gras, wodurch der Platz einem Fußballfeld immer ähnlicher wurde. Gegenüber befand sich das Gebäude der Administration. Ich trat in die Apotheke. Hinter dem Ladentisch stand ein blondiertes Mädchen, das den weißen Kittel auf dem nackten Körper trug. Als sie mich sah, zog sie schnell ihre Sandalen an, die neben ihr auf dem kühlen Steinboden standen.
– Hallo, – sagte ich. – Mein Opa hat hier Medikamente gekauft. Kannst du mir sagen, wofür die gut sind?
– Und was hat Ihr Opa? – fragte das Mädchen argwöhnisch.
– Probleme.
– Womit?
– Mit dem Kopf.
Sie nahm mir die Flasche aus der Hand und musterte sie eingehend.
– Das ist nicht für den Kopf.
– Echt?
– Das ist für den Magen.
– Stopft es oder führt es ab? – fragte ich für alle Fälle.
– Es stopft, – sagte sie. – Und dann führt es ab. Aber es ist abgelaufen. Wie fühlt er sich?
– Hält sich wacker, – sagte ich. – Gib mir irgendwelche Vitamine.
*
Das Büro lag ganz in der Nähe, in einem stillen, schattigen Gässchen. Neben der Tür wuchs ein ausladender Maulbeerbaum, daneben stand ein zerbeulter Motorroller. Früher, in meiner Kindheit, war hier ein Buchladen gewesen. Die schwere, eisenbeschlagene, orange gestrichene Tür war ein Überbleibsel aus jener Zeit. Ich öffnete und trat ein.
Olga saß beim Fenster auf gestapeltem
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