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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Illustrationen an. Ich wandte mich ihr zu und betrachtete die Bilder ebenfalls. Als Olga es merkte, wartete sie mit dem Umblättern, damit ich mir alles richtig ansehen konnte.
    – Als ich hier gearbeitet habe, – sagte sie, – haben wir aus diesen Zeitschriften vorgelesen. Vor dem Schlafengehen.
    – Warum arbeitest du nicht mehr mit Kindern?
    – Ist irgendwie so gekommen. Die Pioniere mochte ich nicht. Da waren so viele Arschlöcher dabei.
    – Echt?
    – Mhm. Obwohl es wahrscheinlich unpädagogisch ist, so was zu sagen.
    – Wahrscheinlich.
    – Warst du als Kind auch im Lager? – fragte plötzlich Olga. – Ich meine im Pionierlager, – fügte sie hinzu.
    – Nein, ich konnte mich nur schlecht ins Kollektiv einfügen, deswegen mochten mich auch die Lehrer nicht.
    – Dann wird dich das hier nicht interessieren, – sagte Olga und warf die Zeitschriften auf den Boden.
    – Doch, schon. Zum Beispiel erinnere ich mich oft an den Deutschunterricht. Sowieso eine komische Sache in der sowjetischen Pädagogik – der Deutschunterricht. Da war so ein krankhaftes antifaschistisches Pathos drin. Einmal, so in der vierten oder fünften Klasse, bekamen wir folgende Aufgabe: Ansichtskarten von verschiedenen Städten wurden ausgeteilt, weißt du noch, solche, wie man sie damals in jedem Postamt kaufen konnte.
    – Ich kann mich nicht erinnern, – antwortete Olga.
    – Doch, es war so. Zum Beispiel Ansichtskarten von Woroschilowgrad. So eine Stadt gibt es heute überhaupt nicht mehr, und ich habe ein paar Jahre lang auf Deutsch von ihr erzählen müssen. Ist doch interessant, oder?
    – Sehr sogar.
    – Auf diesen Postkarten waren in der Regel irgendwelche Verwaltungsgebäude oder Denkmäler abgebildet. Was für Denkmäler konnte es in Woroschilowgrad wohl geben? Vielleicht ein Woroschilow-Denkmal. Ehrlich gesagt weiß ich es nicht mehr. Man musste erzählen, was man sah. Und was sah man auf so einer Ansichtskarte? Das Denkmal selbst, eine Blumenrabatte drum rum, irgendwer läuft durchs Bild, vielleicht fährt hinten noch ein O-Bus vorbei. Vielleicht auch nicht. Das ist schlimmer – es gibt nichts zu erzählen. Vielleicht scheint die Sonne. Oder es liegt Schnee. Woroschilow sitzt vielleicht auf einem Pferd, vielleicht ist er ohne Pferd dargestellt. Ohne ist schlimmer, denn zum Pferd hätte man etwas extra sagen können. Du fängst an. Aber wie kannst du von etwas erzählen, das du nicht kennst? Man hat versucht, sich herauszuwinden. Man konnte mit dem Denkmal beginnen, das heißt erzählen, wer dargestellt war. Dann musste man sich der Passanten annehmen, die zufällig ins Bild geraten waren. Aber was gab es über die schon zu sagen? Na, hier ist eine Frau, sie hat einen gelben Pullover und ein schwarzes Kleid an. Und in der Hand hält sie vielleicht eine Tasche. Mit Brot drin. Wenn man alles über die Passanten erzählt hatte, konnte man ein paar Worte über das Wetter sagen. Was ich damit meine – das alles war so gekünstelt, verstehst du, – die Bilder, das Erzählen, die Sprache, die paar Dutzend Wörter, der Akzent, der Versuch, die arme Lehrerin zu beschummeln. Seitdem kann ich Deutsch nicht leiden. Und in Woroschilowgrad bin ich auch kein einziges Mal gewesen. Und jetzt gibt es Woroschilowgrad nicht einmal mehr.
    – Und wozu erzählst du mir das alles? – fragte Olga.
    – Was heißt denn wozu? – wunderte ich mich. – Nimm die ganze Sache mit meinem Bruder. Sie erinnert mich an meinen Deutschunterricht. Man zeigt mir ein Bild und fordert mich auf, davon zu erzählen. Ich will aber nicht von etwas erzählen, das ich nicht kenne, Ol. Und die ganzen Bilder mag ich auch nicht. Ich mag es nicht, wenn mich jemand an die Wand drückt und von mir verlangt, nach fremden Regeln zu spielen. Weil Regeln nur dann Sinn machen, wenn man sich daran hält. Sobald du sie vergisst, stellt sich heraus, dass du niemandem etwas schuldest und keinen Blödsinn über etwas erfinden musst, was du nicht kennst und nicht brauchst. Und dann stellt sich heraus, dass du sehr wohl ohne dieses erfundene Zeug auskommst und dass es gar keine Regeln gibt und dass es auch das nicht gibt, was man dir zeigt, also gibt es auch nichts zu erzählen. Das sind alles bloß Versuche, dich auszunutzen. Ganz im Einklang mit Recht und Gesetz. Fast wie in der Schule. Die Sache ist, dass wir längst erwachsen sind, aber nach wie vor wie Kinder behandelt werden, wie engstirnige dreckige dumme Gören, aus denen die erforderlichen Antworten herausgepresst

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