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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Strahlen, unsichtbare Bewohner entstiegen dem Schlamm, kamen ganz nah an uns heran und betrachteten uns, als wären wir ertrunkene Fischer. Der Regen war warm wie Flusswasser an der Mündung. Der Roller wurde von Wellen überspült, ein paar Mal wären wir fast von der Straße abgekommen. Olga hielt an und schaute sich verzweifelt um. Wir müssen uns unterstellen, schrie sie, und der Regen lief ihr in Strömen übers Gesicht. Wir mussten irgendwo anhalten, da wir momentan weder vor- noch zurückkonnten. Wo? – schrie ich zurück. Sie überlegte. Hier ist eine Abzweigung, lass es uns versuchen, rief sie, und wir fuhren weiter, trieben die Wellen auseinander und verscheuchten die Wassergespenster. Ab und zu blieb der Roller schwer im Regen stecken und stoppte, Olga in ihrer Sonnenbrille konnte die Straße kaum erkennen, also fuhren wir blind. Doch sie bog richtig ab und wir rollten auf eine Waldstraße. Der schmale grasbewachsene Asphaltweg schlängelte sich durch die Kiefern, wir drangen immer tiefer ein, das Gras wickelte sich um die Räder und behinderte das Fortkommen, aber Olga wusste wohin, sie umfuhr Büsche und tiefe Schlaglöcher, und bald standen wir vor einem dunklen Tor.
    Ich sprang ab und machte mir am Tor zu schaffen, löste den Draht, öffnete den Metallriegel, und Olga schob den Roller in den Hof. Das Gelände war völlig überschwemmt, das Wasser reichte uns bis zu den Knöcheln. Offenbar handelte es sich um ein ehemaliges Pionierlager, weiter hinten waren alte Blechbaracken zu erkennen, rechts ein kleiner Platz mit schäbigem Pionierdenkmal, dahinter ragten hoch die Kiefern auf, über denen der Regen hing. Wir schoben den Roller zu einer Baracke und lehnten ihn an die Wand. Olga, offenbar nicht zum ersten Mal hier, rannte zur Nachbarbaracke, die größer war als die anderen, lief unter den Fenstern entlang und um die Ecke. Dort gab es einen Eingang, mit nassen Blumen überwuchert, hinter denen die Tür fast verschwand. Olga stocherte im Schloss herum, plötzlich ging die Tür auf, wir sprangen hinein, und es war, als wären wir in eine Keksdose aus Blech geraten, auf die fröhliche Kinder mit Stöcken hämmerten. Der Regen schlug dumpf auf das Metall des Daches und der Wände und erschütterte die Baracke und füllte sie mit süßem Trommeln. Wir lauschten in das nasse Klopfen hinein, das nicht aufhören wollte, gingen durch den Korridor und fanden uns in einem geräumigen Zimmer wieder. Regale mit alten Büchern, die Wand gegenüber voll gehängt mit von Kindern gemalten Bildern, auf den Fensterbrettern dunkelten Töpfe mit vertrockneten Blumen, und mitten im Zimmer stand ein ramponiertes Sofa mit aufgeschlitztem Bezug.
    – Hier ist das Leninzimmer, – sagte Olga und stöberte im Bücherregal.
    – Woher weißt du das?
    – Ich habe ein paar Jahre in diesem Lager gearbeitet, – erklärte sie. – Hier haben wir unsere Versammlungen und Sitzungen abgehalten. Die Bibliothek hat, soweit ich mich erinnern kann, nie jemand genutzt. Hör mal, – sie wandte sich mir zu, – wir müssen was mit unseren Kleidern machen. Ich bin klatschnass. Wenn ich meine Klamotten ausziehe, ist das okay für dich?
    – Ich kann ja rausgehen. Obwohl ich natürlich lieber hierbleibe.
    – Dann schau weg, okay?
    – Und wo soll ich hinschauen?
    – Scheiße, na gut, dann schau ruhig. Aber keine Sperenzchen.
    Sie warf ihr Oberteil aufs Fensterbrett, hängte ihre Jeans daneben und legte ihre Brille darauf. Mit nichts am Leib als ihrer orangefarbenen Unterwäsche warf sie mir unzufriedene Blicke zu.
    – Okay, – sagte sie, – ich verstehe, dass es irgendwie komisch wirkt, aber du kannst ja deine Klamotten auch aufhängen. Wir müssen sowieso abwarten, bis der Regen aufhört.
    – Gibt es hier Wachpersonal? – fragte ich.
    – Im Prinzip schon, – antwortete sie. – Aber was gibt es bei diesem Wetter schon zu bewachen? Die sind wahrscheinlich in der Stadt. Also keine Angst.
     
    Aber ich zog mich nicht aus. Wer wusste denn, ob das wirklich okay für sie war. Ich warf mich aufs Sofa, das sich quietschend aufklappte, lag in der Dämmerung und lauschte dem regelmäßigen Lauf des Regens, der an den Lärm alter Schiffsmotoren erinnerte. Olga ging im Zimmer auf und ab, schaute sich die Bilder der Kinder an, kramte irgendwo einen Stapel alter Pionierzeitschriften heraus und legte sich dann neben mich. In dem Dunkel, das durch die feuchte Luft versetzt und verdichtet wurde, fiel das Lesen schwer. Olga sah sich nur die bunten

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