Die Erfindung des Jazz im Donbass
werden.
– Könnten Sie mir nicht vielleicht auch ohne Gorodki helfen? – erkundigte ich mich für alle Fälle.
– Nein, Jüngelchen, – antwortete Hnat Jurowytsch streng. – Ohne Gorodki geht es keinesfalls.
Ich schaute zu Olga. Sie verdrehte nur verzweifelt die Augen. Der Patient in ihrem Rücken linste hämisch hinter seiner Zeitung hervor. Der unbekannte Dritte verweste in seiner Ecke. Ich musste mich entscheiden. Gorodki, dachte ich, Gorodki. Aber was kann der Alte eigentlich gegen mich ausrichten, für mich sprechen Jugend und Begeisterung, für ihn nur die Parteidisziplin. Ich beschloss, das Risiko einzugehen.
– Okay, – sagte ich, – dann also Gorodki. Und Sie werden Ihr Wort halten?
– Was für eine Frage, Jüngelchen, – antwortete Hnat Jurowytsch geschäftig, sprang mühelos aus dem Bett und wuselte durchs Zimmer. – Gorodki! – rief er voller Energie. – Gorodki!
Er war wie verwandelt, seine Nervosität und die eben noch zur Schau gestellte Unsicherheit waren wie weggeblasen, er hatte sich aufgerichtet, gestrafft wie ein Kampfhund, nun raste er im Zimmer hin und her und kramte unter dem toten Nachbarn ein Paar Golfschuhe und eine schwarze Baseballkappe mit den weißen Buchstaben NY hervor.
– Gorodki! – rief der Alte und stieß die Tür mit einem kräftigen Tritt seiner Gummilatsche auf. – Möge der Sport die Entscheidung herbeiführen!
Die Tür flog auf, und eine Schar von Patienten purzelte Hnat Jurowytsch entgegen, sie hatten wohl unser Gespräch belauscht und freuten sich jetzt auf eine Zerstreuung, wie sie hier wohl nicht oft geboten wurde. Ohne jeden Zweifel setzten sie auf Hnat Jurowytsch, er war ihr Favorit, mir warfen sie nur höhnische, skeptische Blicke zu. Die lärmende Menge trug Krankenhausbademäntel und Trainingsanzüge, jemand hatte Kriegsorden an der Brust, andere trugen im Kampf zerfetzte Soldatenhemden. Männer auf Krücken bleckten ihre gelben abgewetzten Zähne, und Frauen mit Gipsarm lächelten mit üppig geschminkten Lippen, wodurch sie blutrünstigen Clowns glichen. Das ganze Knäuel chronischer Krankheiten kullerte in den Sanatoriumsgarten, hinter die Gebäude, wo zwischen den Apfelbäumen ein ziemlich geräumiges Spielfeld ausgetreten worden war. Olga, Natascha und ich eilten hinter den Patienten her, Natascha hielt in der einen Hand den Inhalator des Alten, in der anderen die eisenbeschlagenen Stöcke, mit denen wir uns messen sollten. Meine Entschlossenheit und mein Kampfgeist hatten sich verflüchtigt. Olga warf mir besorgte Blicke zu, sagte aber nichts, um mich nicht noch mehr zu verunsichern.
Hnat Jurowytsch machte sich bereits zwischen den Apfelbäumen im Garten warm, er schwang geschickt das Bein in die Luft und bückte sich wie eine Katze ins hohe Gras. Er jagte mir richtig Angst ein. Ich muss wohl nicht extra betonen, dass ich noch nie Gorodki gespielt hatte. Alles, was ich über dieses Spiel wusste, war, dass außer Graf Tolstoi und Professor Pawlow auch Wladimir Iljitsch Lenin ein begeisterter Spieler war, was mich, ehrlich gesagt, ganz und gar nicht optimistisch stimmte.
Alle gingen auf die Plätze. Ich, Hnat Jurowytsch, Olga und Natascha standen an der Gefechtslinie, die Fans verstreuten sich im Garten, sammelten Holzklötze und platzierten sie in der richtigen Ordnung. Hnat Jurowytsch trat geschäftig zu Natascha, nahm irgendwelche Ätzbonbons entgegen, warf sie in sein eisernes Maul, zermalmte sie mit seinem Panzergebiss und machte sich dran, mir die Spielregeln zu erklären.
– Also, hör her, Jüngelchen, – sagte er, während er den Wurfstock schwang. – Es ist ganz einfach. Wir spielen fünfzehn Figuren. Wer sie als Erstes aus dem Spielfeld schlägt, hat gewonnen. Den Verlierer holt das Finanzamt.
– Geben Sie mir einen Vorsprung, – bat ich ihn.
– Du kannst mich mal! – antwortete Hnat Jurowytsch und trat an die Linie. – Die erste Figur ist eine Kanone! – rief er ins Gebüsch hinein.
Zwischen den weiter entfernten Apfelbäumen liefen die Fans hin und her, die alten Säcke huschten wie Ratten durchs Gras und bauten uns die Kanonen.
– Nun los, Jüngelchen, Gott mit dir, – sagte Hnat Jurowytsch und trat zur Seite.
Ich nahm den Wurfstock in die Hand. Also, dachte ich, gleich werden wir sehen, wer die Oberhand behält.
Mein erster Stock grub sich in den Sand, ohne sein Ziel auch nur zu erreichen. Die Schar am anderen Ende schrie in Erwartung eines schnellen Sieges ihres Favoriten entzückt auf. Beim zweiten
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