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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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– sie hat dich gebissen. Na holla.
    Woraufhin sie ihren Roller bestieg und losbrauste, eine Wolke heißen Staubs aufwirbelnd.
    *
    Am Nachmittag begruben wir Pachmutowa. Kotscha und ich hoben zwischen den Himbeerbüschen sorgfältig eine Grube aus, der Versehrte bastelte aus Metallteilen ein komisches Ding, das wie eine Fernsehantenne aussah, aber, wie er versicherte, eine Sonnenblume darstellte. Es war schwer, die Grube auszuheben, die Erde war hart, wir mussten Wurzeln durchtrennen wie Kabel und die Steine entfernen, die uns dauernd unter die Spaten gerieten. Katja stand schweigend daneben. Pachmutowa lag zu ihren Füßen, wie früher, als sie noch lebte, und Katja beugte sich immer wieder hinunter, um sie zu streicheln. Die Erde klebte schwer an den Sohlen, der Boden ringsum war wie gepresst, es war mühsam, in ihn einzudringen, und dann hängte er sich an die Schuhe und wollte nicht abfallen. Das durchgehauene Wurzelwerk war stark und elastisch, und das Gestein, das wir aus der Grube geworfen hatten, trocknete rasch in der Sonne. Ich stand bis zur Taille in der Grube und betrachtete mir die Steinchen und Pflanzen aus der Nähe, die sich bis nach unten zogen, eine gelbe Schicht Sand und eine weiße Schicht Lehm, vom Spaten durchstochen. Der Lehm roch scharf und süß, als wäre ich auf etwas sehr Wertvolles gestoßen, von dem ich die ganze Zeit vermutet hatte, dass es da war, aber nicht hatte ahnen können, dass es fast an der Oberfläche lag. Dann ließen wir Pachmutowa vorsichtig hinab. Die zweite Beerdigung innerhalb von 24 Stunden, dachte ich, als ich Erde auf den Körper warf. Der Versehrte hatte seine Antenne angebracht, Zeit, zum Ende zu kommen.
    Katja stand eine Weile am Grab, verabschiedete sich dann von uns und rannte heim. Den Regenmantel hielt sie wie einen Luftdrachen in der Hand.
    *
    Gegen Abend kamen Kotschas Verwandte aus der Stadt. Sie rollten in einem weißen, verbeulten Mercedes an. Das Rückfenster war mit Folie überzogen und mit Klebstreifen verklebt. Sie saßen zu siebt im Auto. Sie waren schon wieder nüchtern, hatten sich nach der Beerdigung aber nicht umgezogen, also kamen sie in ihren schwarzen Jacketts und farbigen Hemden. Die Krawatten hatten sie abgenommen, die hingen ihnen jetzt wie Würgeschlingen aus den Jackentaschen. Die Verwandten sprachen laut und unverständlich, sie gebrauchten viele Wörter, die ich nicht kannte. Kotscha nannten sie »Gadjo« und hielten ihn vom Mercedes fern, den er sich gleich vornehmen wollte. Den Versehrten begrüßten sie ernst und irgendwie unterwürfig, drückten ihm die Hand und küssten ihn nach orthodoxem Brauch drei Mal. Dann kamen sie zu mir. Kotscha und der Versehrte blieben in einiger Entfernung stehen, um nicht zu stören. Sie begrüßten mich der Reihe nach, ihr Händedruck war kurz, aber fest.
    – Hör mal, Hermann, – sagte ihr Anführer, der Pascha hieß. – Der Freund unserer Mamma ist auch unser Freund.
    – Wer? – fragte ich, denn ich verstand nicht, von wem sie sprachen.
    – Du hast gestern mit uns die Mamma begraben, – erklärte Pascha. – Tamara hat uns von dir erzählt.
    Aha, dachte ich, jetzt stechen sie mich ab.
    – Sie hat gesagt, dass du Hilfe brauchst.
    – Hilfe?
    – Hermann, – versetzte jetzt der Stellvertreter des Anführers, ein dicker, glatzköpfiger Typ, der Bormann hieß. – Wir wissen alles.
    – Alles? – Ich wartete, jetzt würden sie mich gleich abstechen.
    – Alles, – bestätigte Bormann. – Über den Tanklaster, und über das Geld. Was wir dir sagen wollen – wenn nötig, werden wir dir helfen. Kapiert?
    – Kapiert.
    – Hab also keine Angst, – fuhr Bormann fort. – Wenn nötig, sind wir immer zur Stelle.
    – Der Rest hängt dann nur noch von dir ab, – fügte Pascha hinzu. – Wie man sich bettet, so liegt man. Verstanden?
    – Verstanden, – antwortete ich. – Vielen Dank auch.
    – Schon in Ordnung, Bruder, – Pascha streckte mir die Hand hin. – Mach’s gut.
    Auch die anderen drückten mir die Hand, küssten den Versehrten, verscheuchten Kotscha von der Motorhaube, ließen das Auto an und rollten Richtung Stadt. An der Auffahrt zur Landstraße trafen sie einen schwarzen Volkswagen, der abbog und jetzt auf die Tankstelle zuraste.
    – Wer ist das? – fragte der Versehrte unzufrieden.
    – Das ist für mich, – antwortete ich.
    Stirnrunzelnd wechselte der Versehrte mit Kotscha einen Blick und ging zur Werkstatt. Kotscha blieb bei mir stehen und betrachtete die Fremden neugierig.

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